1601 Der Pinselmacher (Teil 4):


Ein unangenehmes Erwachen


Als wir wieder zur Terrasse zurückgekehrt waren und ich meine Erzählung beendete, nahm ich all meinen Mut zusammen, wandte mich ihr zu und nahm sie in den Arm. Ich spürte noch, dass sie meine Umarmung erwiderte, wie sich unsere Lippen einander näherten, und gerade als sie sich berührten, gerade als ich ihre sanften, warmen Lippen auf meinen spürte, wurden wir jäh auseinander gerissen. Felicitas blitzte uns aus ihren blauen Augen verärgert an, doch sie riss sich zusammen und sagte bloß: ‚Dafür habt ihr später noch genug Zeit. Jetzt brauchen wir den Meister.’ Maria sah mich an, und ich meinte fast so etwas wie Traurigkeit in ihrem Blick lesen zu können, doch warum sollte sie nur traurig sein. ‚Ich werde mich verabschieden. Morgen werden wir weitersehen.’, sagte sie leise, gab mir noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, und schon war sie verschwunden. Verwirrt sah ich ihr nach. Warum war sie nur gegangen? Warum hatte sie mich gerade jetzt allein gelassen? Doch Felicitas ließ mir keine Zeit darüber nachzudenken. Sie fasste mich am Handgelenk und zog mich zurück in den Saal. Sofort fand ich mich von allen anwesenden Mädchen umringt. Frage um Frage beantwortete ich, Cocktail um Cocktail trank ich. Ich könnte nicht mehr sagen was mich mehr berauschte, die Aufmerksamkeit oder der Alkohol. Alles um mich schien sich zu drehen, alles um mich drehte sich um mich, und ich ließ mich einfach fallen, wie in einen Traum, in diesen Rausch. Ja, ich gebe es zu, ich habe es genossen, in vollen Zügen genossen. Plötzlich war ich mit Felicitas allein Ich sah sie an und ihr zu, wie sie ihr Kleid fallen ließ, so dass sie nackt vor mir stand. ‚Bürste mein Haar!’, befahl sie, und ich gehorchte, immer noch gefangen in diesem Wirbel, in diesem Rausch, der meinen Verstand lahmlegte und meine Sinne sensibilisierte. Ich war ihr zu Willen, ihr, die es gewohnt war in allem ihren Willen zu bekommen, ihr, die es gewohnt war alles zu bekommen was sie wollte, ihr hatte ich mich hingegeben. Ich war ihre Trophäe, sichtbares Zeichen dafür, dass ihre Jagd von Erfolg gekrönt war.

Als ich am nächsten Morgen, von den heftigsten Kopfschmerzen geplagt, erwachte, stand sie am Fußende des Bettes. ‚Ich habe gewonnen, wie immer.’, sagte sie kalt. Ja, sie hatte gewonnen, indem sie mich Maria entzogen und ihr gefügig gemacht hatte. Jetzt erst, da vom Rausch, vom Traum und vom Wirbel im Kopf nichts mehr geblieben war als ein schaler Nachgeschmack, wurde mir bewusst worauf ich mich da eingelassen hatte in dieser Nacht.

‚Ich würde sagen, Du gehst jetzt besser. Eigentlich wollte ich Dich schon in der Nacht hinausschmeißen, aber Du warst einfach nicht wach zu bekommen. Und pass ja auf, dass Dich niemand sieht.’, sagte Felicitas noch und ging. Ich wollte auch nur weg, wollte zu Maria, wollte alles erklären, doch ich kam zu spät. Felicitas war bereits da, als ich eintraf und die Überlegenheit in Felicitas Blick ebenso wie die Trauer in Marias Blick machten mir deutlich, dass Felicitas bereits alles erzählt hatte. ‚Geht.’, sagte Maria ruhig, ‚Geht beide, und lasst euch nie wieder hier blicken. Ich will keine Freundin, die sich an meinem Unglück ergötzt, und ich will keinen Freund, der dem erstbesten Flittchen auf den Leim geht.’ Ich wollte es ihr erklären, doch sie hatte wohl recht, es gab nichts mehr zu erklären, nichts mehr schön zu reden. Vielleicht, so dachte ich mir noch, vielleicht würde sie mir eines Tages verzeihen können.“

  • Hätte Franziska nicht so viel von Martha, sondern auch nur einen Teil von Maria gehabt, so hätte sie diese Geschichte gehört, doch sie war nun mal wie sie war. So hörte sie die Geschichte nicht und auch nicht, dass dem Onkel die Stimme brach an deren Ende. Pünktlich um zwölf erschien sie, mit einem Tablett in der Hand. Franziska konnte zwei Minuten nach zwölf nur noch den Tod ihres Onkels feststellen. Dann leitete sie alles Notwendige in die Wege, räumte das Essen weg und die Küche zusammen. Ab morgen würde ihr Tag keine Struktur mehr haben.

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