Viel zu viel Zeit
Zum ersten Mal in seinem
Leben machte er sich darüber überhaupt Gedanken, denn bisher war ja alles von
selbst gegangen. Es war einfach zu selbstverständlich gewesen. Nach und nach
lernte er es, doch so wie seine Frau schaffte er es nie. Die ersten Wochen war
er einfach nur damit beschäftigt sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Immer
wieder versprach ihm seine Tochter zu kommen, ihn zu unterstützen, doch sie kam
nie. Er verstand es. Schließlich hatte sie nun ihr eigenes Leben, in dem sie
unabkömmlich war, das sie gänzlich in Anspruch nahm. Hätte er sich doch einen
Freund zugelegt, zu einer Zeit, da er noch Kontakt zur Außenwelt gehabt hatte.
Jetzt war es zu spät. Seine Welt war das Häuschen und der kleine Garten.
Max Mank erinnerte sich
noch gut an den Tag, an dem sie in dieses Häuschen eingezogen waren, vor
etlichen Jahrzehnten. Natürlich war es nur halb fertig. Nackte Glühbirnen
hingen von der Decke, vor den Fenstern gab es keine Vorhänge, aber immerhin,
man konnte darin wohnen. Nach und nach richtete seine Frau es ein. Mit jedem
Stück, das sie dem Haus hinzufügte, fügte sie ein Stück Wohnlichkeit und
Behaglichkeit hinzu. Auch das war ihre Aufgabe gewesen. Seit sie ihn so
plötzlich verlassen hatte gab es keine Veränderungen mehr. Er wagte nichts weg
und nichts hinzu zu tun. Wenn er im Garten saß sah er die Blumen, die Maria
gepflanzt hatte, aber sie waren mittlerweile verkümmert. Ebenso wie ihr
Gemüsebeet. Ein Jahr, und die Natur holt sich ihr Eigentum zurück, überwuchert
alles, so dass von der Kulturanlage nichts mehr übrig blieb.
Diese Natur war auch rund
um das Haus gewesen, damals als sie einzogen. Stundenlang konnte man über
Felder und durch kleine Wäldchen wandern. Damals lag ihr Häuschen am Stadtrand,
doch mittlerweile hatte die Stadt es verschluckt, die ewig pulsierende und sich
ausdehnende, ungehemmt wachsende und vereinnahmende. Rundherum waren Häuser
gebaut worden, immer mehr und mehr Häuser. Die Infrastruktur wurde ausgebaut,
und die vormals ruhige Straße vor dem Haus, wurde zur Durchzugsstraße für den
Berufsverkehr, die Straßenbahn und viele Busse. Laut war es um ihn geworden,
während es in ihm immer stiller wurde. Er hatte sein Leben gehabt. Nun schien
er nichts weiter mehr zu tun zu haben als zu warten bis sein Leben auch ein
Ende fand, bis er seiner Frau folgen durfte.
Max Mank hielt es in
seinem Häuschen nicht mehr aus. Immer öfter sah man ihn ziellos durch die
Straßen ziehen, wenn man ihn denn hätte sehen wollen. So viele Menschen gingen
an ihm vorbei, überholten ihn, streiften, wenn sie an ihm vorbeihasteten, doch
keiner von all denen schien ihn zu sehen. Alle waren in Gedanken schon bei
ihrem nächsten Ziel. Es ging so schnell, so fürchterlich schnell. Ungeduldig
wurde gehupt, wenn er es nicht schaffte schnell genug über die Straße zu gehen.
Wonach waren die Grünphasen bei der Fußgängerampel wohl berechnet worden? Nach
einem Spitzensportler, der in zwei Sekunden von einem Fahrbahnrand zum anderen
hechtet? Warum hatten all die Menschen so wenig Zeit und er so viel davon?
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