Eine Aufforderung
Der Abend lag unverbraucht und jungfräulich vor mir, und
ich war fertig, tatsächlich fertig. All die großen und kleinen Dinge, die zu
erledigen ich mir für diesen Tag vorgenommen hatte, waren auch tatsächlich
erledigt. Ich saß da, entspannt zurückgelehnt und wusste nicht was mit mir
anzufangen. Der Augenblick der Freude über die eigene Fähigkeit einmal fertig
zu werden, war vorüber. Den Gedanken, dass ich mir vielleicht einfach zu wenig
zugetraut hatte, für diesen Tag, dass ich mir zu wenige Aufgaben gestellt
hatte, den ließ ich erst gar nicht zu. Doch nun war nur noch die Frage, was
kommt jetzt. Mitten hinein, in diesen Gedanken der Machtlosigkeit über meine
Zeit, gerade an diesem herrlichen Abend, kam Dein Anruf.
„Komm ficken“, war Deine unmissverständliche
Aufforderung.
„Vielleicht“, war meine ausweichende
Antwort.
Natürlich wäre es eine angenehme Sache
gewesen, jetzt zu Dir hinüber zu fahren und einfach geilen Sex zu genießen,
denn Sex hat nichts mit Romantik zu tun, nichts mit leisem, zarten
Liebesgeflüster, wie es mancher Orts so gerne gesehen wird. Letztendlich ist er
einfach animalisch und brutal, aber vor allem auch ein probates Mittel die
Zeit, gerade an einem Abend, da alles erledigt ist, zu überbrücken, wegzutauchen
aus dem was im Kopf wütet und sich der reinen Körperlichkeit hingeben.
Natürlich waren diese Aufforderungen nicht immer so gewesen, nicht immer so
eindeutig und direkt, denn zu Anfang, da sind diese Spielchen. Beide wissen was
der andere will, eigentlich, beide zielen darauf ab, und doch ist die
Annäherung langsam. Es hat auch etwas magisches, diese Momente der ersten,
vielleicht zufälligen Berührungen, dieser Moment des ersten
Aufeinander-Zugehens, dieser Moment des doch noch nicht ganz bewußt, aber doch
Gewißheit-habens, doch er ist vorbei, mit dem ersten Mal, und die folgende,
kennende, vertraute Offenheit hat durchaus etwas befreiendes. Zu sagen wie es um
mich steht, ohne zu brüskieren, mich auszudrücken, ohne Sorge, dass ich Dir zu
nahe trete. Schließlich bin ich in Dich getreten – wie sollte ich Dir da noch
näher treten.
„Vielleicht ist mir zu wenig. Ja oder
nein“, entgegnetest Du.
„Du hast mich aufgefordert, nicht gefragt.
Ich denke darüber nach“, sagte ich leichthin.
Es hätte was, den Abend zu verbringen, mich
in Dir verlieren, gedankenlos, so sehr verlieren, bis die Welt herum
verschwindet, und es nichts gibt, als dieses Verlangen uns einander hinzugeben,
bis wir nichts mehr sind als Gabe und Annahme, Erspüren und Spüren-lassen,
nichts sind als reine, intensivste Körperlichkeit. Und hinterher würden wir
Kaffee trinken und rauchen und reden oder schweigen und in die Sterne sehen.
Ich malte es mir aus, von dem Moment, in dem ich zu Dir kommen würde, wie ich
mich in Dich einlasse, wie Du Dich in mich, dem Moment der Eins-werdung, bis
hin zur Trennung, in dem wir wieder eintreten in die Welt der Gegebenheiten und
des Faktischen, um uns da zu sehen, am Ende des Abends, am Ende der Nacht.
„Kommst Du oder kommst Du nicht?“, kam
jetzt tatsächlich eine Frage von Deiner Seite.
„Nein, ich komme nicht“, antwortete ich
lapidar.
„Und warum kommst Du nicht?“, fragtest Du,
weil Du es fragen musstest, und weil Du nach einem solchen Nein nicht einfach
zurückziehen konntest.
„Weil ich eigentlich schon dort bin, wo ich
nach dem Sex wäre, in der Betrachtung der Nacht, ruhig und entspannt“, gab ich
zurück.
„Das verstehe ich. Aber dann komm doch auf
einen Kaffee vorbei“, war Deine zweite Aufforderung.
„Bin sofort bei Dir drüben“, antwortete ich
erfreut und legte auf, denn den Abend genießen mit Kaffee und netten
Plaudereien, ja das hat schon was. Und wer weiß, was dann noch so passiert ...
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