2904 Eine Aufforderung


Eine Aufforderung


Der Abend lag  unverbraucht und jungfräulich vor mir, und ich war fertig, tatsächlich fertig. All die großen und kleinen Dinge, die zu erledigen ich mir für diesen Tag vorgenommen hatte, waren auch tatsächlich erledigt. Ich saß da, entspannt zurückgelehnt und wusste nicht was mit mir anzufangen. Der Augenblick der Freude über die eigene Fähigkeit einmal fertig zu werden, war vorüber. Den Gedanken, dass ich mir vielleicht einfach zu wenig zugetraut hatte, für diesen Tag, dass ich mir zu wenige Aufgaben gestellt hatte, den ließ ich erst gar nicht zu. Doch nun war nur noch die Frage, was kommt jetzt. Mitten hinein, in diesen Gedanken der Machtlosigkeit über meine Zeit, gerade an diesem herrlichen Abend, kam Dein Anruf.
„Komm ficken“, war Deine unmissverständliche Aufforderung.
„Vielleicht“, war meine ausweichende Antwort.
Natürlich wäre es eine angenehme Sache gewesen, jetzt zu Dir hinüber zu fahren und einfach geilen Sex zu genießen, denn Sex hat nichts mit Romantik zu tun, nichts mit leisem, zarten Liebesgeflüster, wie es mancher Orts so gerne gesehen wird. Letztendlich ist er einfach animalisch und brutal, aber vor allem auch ein probates Mittel die Zeit, gerade an einem Abend, da alles erledigt ist, zu überbrücken, wegzutauchen aus dem was im Kopf wütet und sich der reinen Körperlichkeit hingeben. Natürlich waren diese Aufforderungen nicht immer so gewesen, nicht immer so eindeutig und direkt, denn zu Anfang, da sind diese Spielchen. Beide wissen was der andere will, eigentlich, beide zielen darauf ab, und doch ist die Annäherung langsam. Es hat auch etwas magisches, diese Momente der ersten, vielleicht zufälligen Berührungen, dieser Moment des ersten Aufeinander-Zugehens, dieser Moment des doch noch nicht ganz bewußt, aber doch Gewißheit-habens, doch er ist vorbei, mit dem ersten Mal, und die folgende, kennende, vertraute Offenheit hat durchaus etwas befreiendes. Zu sagen wie es um mich steht, ohne zu brüskieren, mich auszudrücken, ohne Sorge, dass ich Dir zu nahe trete. Schließlich bin ich in Dich getreten – wie sollte ich Dir da noch näher treten.
„Vielleicht ist mir zu wenig. Ja oder nein“, entgegnetest Du.
„Du hast mich aufgefordert, nicht gefragt. Ich denke darüber nach“, sagte ich leichthin.
Es hätte was, den Abend zu verbringen, mich in Dir verlieren, gedankenlos, so sehr verlieren, bis die Welt herum verschwindet, und es nichts gibt, als dieses Verlangen uns einander hinzugeben, bis wir nichts mehr sind als Gabe und Annahme, Erspüren und Spüren-lassen, nichts sind als reine, intensivste Körperlichkeit. Und hinterher würden wir Kaffee trinken und rauchen und reden oder schweigen und in die Sterne sehen. Ich malte es mir aus, von dem Moment, in dem ich zu Dir kommen würde, wie ich mich in Dich einlasse, wie Du Dich in mich, dem Moment der Eins-werdung, bis hin zur Trennung, in dem wir wieder eintreten in die Welt der Gegebenheiten und des Faktischen, um uns da zu sehen, am Ende des Abends, am Ende der Nacht.
„Kommst Du oder kommst Du nicht?“, kam jetzt tatsächlich eine Frage von Deiner Seite.
„Nein, ich komme nicht“, antwortete ich lapidar.
„Und warum kommst Du nicht?“, fragtest Du, weil Du es fragen musstest, und weil Du nach einem solchen Nein nicht einfach zurückziehen konntest.
„Weil ich eigentlich schon dort bin, wo ich nach dem Sex wäre, in der Betrachtung der Nacht, ruhig und entspannt“, gab ich zurück.
„Das verstehe ich. Aber dann komm doch auf einen Kaffee vorbei“, war Deine zweite Aufforderung.
„Bin sofort bei Dir drüben“, antwortete ich erfreut und legte auf, denn den Abend genießen mit Kaffee und netten Plaudereien, ja das hat schon was. Und wer weiß, was dann noch so passiert ...

Keine Kommentare: