Trau Dich, zart
„Es ist schön bei Dir“, sagst Du, während
Du Dich in Deine Umgebung immer mehr einfindest.
„Und nicht mehr merkwürdig?“, frage ich
entsprechend.
„Doch, es ist nach wie vor merkwürdig, nach
wie vor äußerst merkwürdig“, gibst Du zu, „Aber es ist nicht mehr beunruhigend
wie zu Anfang, sondern eher herausfordernd, als würde man ein Haus betreten,
das man noch nicht kennt und das so anders ist als andere Häuser, die man
bisher betreten hat. Zunächst hat man absolut keinen Orientierungspunkt, nichts
woran man sich halten kann, aber wenn man genau hinsieht, entdeckt man dann
doch etwas. Vielleicht eine Erinnerung an etwas, was man bereits erlebt hat,
aber was schon so lange her ist, dass man schon meint, es wäre nicht die eigene
Erinnerung, sondern die eines Fremden. Doch langsam findet man in sich selbst
zurück, traut man sich in sich, indem man auch Äußerlich etwas Neues entdeckt.“
„Immer tragen wir es in uns, auch wenn wir
es lange nicht erreicht haben, nicht in uns und nicht um uns“, versuche ich zu
erklären, und ganz sacht nehme ich Deine Hand. Doch erschrocken ziehst Du sie
zurück, entziehst Dich mir.
Immer mehr rücken wir voneinander ab. Es
ist unangemessen, unstatthaft und verpönt, die Berührung. Ganz sacht kann sie
sein, doch sie wird als brüskierend wahrgenommen. So viele Freiräume, so viele
Regeln, die aufgehoben wurden, um uns frei zu machen, verschwenderisch und
offen, und wir haben nichts anderes damit gemacht, als den Raum um uns in einen
Hochsicherheitstrakt zu verwandeln. Nur nicht zu nahe kommen, immer auf
Abstand, und wenn, dann kann es nur in der Eindeutigkeit geschehen, mit
erotischer Konnotation, als ob es keine Berührung mehr gäbe unter Freunden, die
sachte, ohne Hintergedanken, zu versichern, ich bin da für Dich, zu trösten,
wenn Du traurig bist, zu zeigen, ich freue mich für Dich. Nicht diese zur Schau
getragene Busselei, nicht diese Kameravergeschwisterung, nicht diese
Demonstration an lasziver Brutalisierung, sondern die leise, sanfte,
nachdrückliche Aussprache des „Ich bin da für Dich“, in einer kleinen, sanften
Geste, nichts weiter, und doch zu nahe, so oft viel zu nahe. Die Entgleisung in
das Alles-Dürfen entfremdet uns unserem eigenen Wollen und unseren eigenen
Bedürfnissen, wenn es zwischen Nichts und Allem keine Abstufung mehr gibt. Nur
Entweder Oder, ohne die Nuancen zu erkennen.
„Ich nehme Deine Hand, um Dir zu zeigen,
ich bin bei Dir, ich höre, ich sehe Dich und will mich von Dir berühren lassen,
anrühren und verändern, nicht nur Hand in Hand, sondern meine Gedanken und
meinen Moment, der damit zu unserem wird, ohne Hintergedanken, freundschaftlich
und aufrichtig“, versuche ich zu erklären, und langsam gibst Du Deine Hand
zurück, lässt Dich berühren, berührst, und es sagt so viel, so viel mehr, als mit
Worten sagbar wäre, in dieser einzigen kleinen Geste.
„Ich würde Dich gerne umarmen“, sagst Du
leise, fast unhörbar.
„Ich möchte Dich umarmen, und Dir Danke
sagen, weil Du da bist und weil es gut tut bei Dir zu sein“, entgegne ich, und
während wir uns umarmen, uns uns zusprechen, geschieht ein Miteinander, das wir
mitnehmen, auch wenn die Umarmung wieder gelöst wird.
„Trau Dich, zart“, sagte ich leise.
„Und auch, wenn es eigentlich nur die Oberfläche
berührt, die Mitteilung geht viel tiefer, und besagt Wir“, merkst Du an, und
ein Lächeln lässt Dein Gesicht aufleuchten.
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