Miteinander
Doch eines Tages wachte ich auf, und der
Schmerz war nicht mehr, so sehr hatte ich mich daran gewöhnt, nur noch
Gefühllosigkeit. Nicht verdrängen, sondern verändern, und auf meinem Nachttisch
lag ein Bildchen, ein kleines Bild, das mir wohl eine gute Fee zugeweht hatte,
ein Bild von einem Mädchen, das tanzte und lachte. Vorsichtig nahm ich es in
die Hand und besah es mir genauer. Mitten im Regen war es, und das Kleid des
Mädchens war durchnässt, doch es ließ sich nicht abhalten, tanzte und lachte.
Wunderschön muss das sein, so frei und unbekümmert und sorglos, ging es mir
durch den Kopf, und dann sah ich genauer hin und entdeckte, dass ich das war.
Dieses Mädchen auf diesem Bild, das war ich, singend und lachend und tanzend und
dem Regen trotzend. Das war ich? Wann soll das gewesen sein? Fieberhaft begann
ich in meinen Erinnerungen zu kramen, und tatsächlich, ganz schwach tauchte es
in mir auch wieder auf, dieses Bild der Unbeschwertheit, aber da war noch mehr,
das Bild von meiner besten Freundin damals, die mich begleitete, mit mir lachte
und tanzte und sang, auch im Regen, bedingungslos. Ich stand auf, und spürte,
dass mich meine Füße trugen, dass sie noch tanzen konnten und dass da noch
Lieder in mir waren, und ich spürte, wie sich das eiserne Band, das zweite, um
mein Herz lockerte und zersprang, und ich ging auf die Menschen zu, die mich
umgaben und erzählte ihnen, dass ich es wiedergefunden hatte, das Singen und
das Lachen und das Tanzen, und manche meinten, dass sei nicht mehr ich und das
gehörte sich nicht, und ich wiche von dem Weg ab, den ich gehen sollte. So
wollten sie mich nicht, und erstmals vermochte ich zu sagen, dass ich mich nicht
länger mit Menschen umgebe, die mich nicht so wollen wie ich bin, sondern nur
mehr mit denen, die mich annahmen in meinem Eigen-Sein. Das sei eigensinnig und
unvernünftig und egoistisch, meinten sie, und so wie ich das mache, nein, das
ginge nicht, und da wandte ich mich ab, und ließ sie hinter mir, all jene, die
nicht mit mir zurechtkamen und auch nicht damit, dass ich mich nicht länger
verbiegen ließ, sondern zu mir stand, und da begann etwas in mir zu wachsen,
etwas, was bisher kein Licht und keine Wärme bekommen hatte, ich selbst,
Authentizität, die Kraft zu mir zu stehen, die Kraft selbst zu sein, ganz
gleich was andere sagten, und so, ein Stück befreit, machte ich mich auf den
Weg – und ich fand Menschen, die mir die Hand reichten und mit mir gingen,
nicht trotz sondern wegen meiner Veränderung, die sich auch nicht verbiegen
ließen und nichts dreinreden. Und ich entdeckte, dass die Liebe in mir wuchs,
die Liebe zum Leben und zu dem, was es mir schenkte, das ich nun endlich sehen
konnte, rein und unvoreingenommen. Ich fühlte mich wie neu geboren, in eine
Welt, die mir nie so schön und voller Licht und Klang erschienen war. Das Leben
selbst hatte mich wachgeküsst, und wohl auch die Kraft verliehen keine Angst
mehr davor zu haben andere vor den Kopf zu stoßen, wenn es denn sein musste. Und
wenn ich hinausging, so konnte ich auch wieder im Regen tanzen und singen und
lachen. „Schaut euch die an“, sagten manche kopfschüttelnd, „Die spinnt doch
komplett.“ Mag sein, dass es so war, aber es war, was ich empfand und was mich
glücklich machte, und ich war nicht allein, wandelte das Gegeneinander in ein
Miteinander, voller Lebensfreude und Lust und Liebe, und das zweite eiserne
Band fiel ab von meinem Herzen.
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