Erfüllung
Jahrelang hatte ich die eisernen Bande
getragen, und es war weder Glück noch Unglück, sondern nur mehr
Gleichgültigkeit, doch dann wollte ich es fühlen, das Glück wie das Unglück,
und befreite mich vom ersten eisernen Band und fand in mein Leben, vom zweiten
eisernen Band und fand in ein Miteinander. Und da war dann nur mehr das dritte.
Schon konnte ich sehen, wie mein Herz schlug, ohne gehalten werden zu müssen,
wie es sich ausdehnte und wuchs. Schon fühlte ich, dass sich mein Herz zuwenden
konnte, denen, die es wollten, die mich meinten und nicht das Bild, das sie
sich von mir zusammengebastelt hatten, doch die Befreiung war noch nicht
komplett, immer noch nicht komplett. Nie fangen wir wirklich ganz von vorne an,
sind nichts weiter als der Weg von den Vorkommenden zu den Nachkommenden. Doch
ich wollte nicht länger Weg sein, wollte mich nicht länger begehen lassen,
sondern wollte endlich selber gehen, wollte den Weg gehen, den ich für richtig
hielt. Wollte nichts mehr von außen aufgedrückt bekommen, sondern mich selber
markieren, und die Narben, die mir das Leben zufügte, sollten die Narben meines
Lebens sein, und das Lachen, das ich finden wollte, sollte das Lachen meines
Glückes sein, und nicht irgendeins Vordefinierten, das mit mir nichts mehr zu
tun hatte. „Trage flache Schuhe, und man merkt. Du bist eine kluge Frau“, sagte
sie, und endlich konnte ich antworten: „Ich trage hohe und flache Schuhe, und
ob ich eine kluge Frau bin, das soll man an meinen Worten und Handlungen merken.“
„Du wirst schon sehen, was Du davon hast, wenn Du nicht auf mich hörst“, kam es
dann gereizt und verletzt zurück, „Immer diese Zurückweisungen, dabei weiß ich
es doch umso vieles besser.“ Und ich ließ ihr das eiserne Band, der Frau um die
fünfzig, die sich öffentlich gebärdete wie eine Fünfzehnjährige, ließ es zurück
und machte mich auf den Weg. Vielleicht, ja ganz sicher sogar, wird nicht alles
glatt gehen und ich werde auch einstecken müssen, doch es ist etwas, was ich
selbst entschieden habe, was mich herausführt aus der Bevormundung all der gut
gemeinten Ratschläge, herausführt aus den Erwartungen, die andere an mein Leben
stellen, als wäre es ihr eigenes, herausführt aus selbst verschuldeter
Unmündigkeit. Ich bin nicht mehr darauf bedacht niemanden vor den Kopf zu
stoßen, sondern zu sein, die ich sein kann, zu tun, was ich tun kann, und auf
diesem Weg die Welt mit mir zu bereichern, denn Kopien gibt es schon genug.
Endlich fing ich an mich als Original zu begreifen, das keine Erwartungen von
außen annehmen muss, sondern kann, wenn es stimmig ist. Die Entdeckung war das
mein vor Leben und das mein vor Glück. „Wir erkennen Dich nicht wieder“, haben
manche gesagt. „Du hast Dich verändert“, sagten andere, „Und nicht unbedingt zu
Deinem Vorteil.“, konnten sie dabei nicht unterlassen hinzuzufügen. Ja, ich
habe mich verändert, denn mein Herz war frei, konnte schlagen und atmen und
wachsen, nur die, die ich war, die war ich nicht mehr. Ich hatte mich
verändert, so dass nicht ich vor der Wahl stand, sondern die anderen, diese
Wandlung mitzugehen und mich so zu akzeptieren wie ich war, oder es bleiben zu
lassen, in ihrer eigenen Erstarrung zu verharren, zu der – schon rein optisch –
ein eisernes Band so gut passt, das mir nicht mehr gehört und das ich nicht
mehr brauche, denn ich will mich nicht mehr bezähmen und nicht mehr bezähmen
lassen, sondern mein Leben in die Erfüllung führen, auf mein Herz hören, auf
meine eigene Stimme und auf das, was mein Talent und meine Begabung ist,
abseits von all dem, was von irgendjemanden für mich geplant wurde, irgendjemanden,
nur nicht mich, atmend, fühlend, lebend, endlich ohne Zwang und Vorgaben, und
doch verantwortungsvoll mit mir und mit Dir.
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