2606 Eine verhängnisvolle Umarmung


Eine verhängnisvolle Umarmung


Es gibt Tage im Leben, da denkst Du, jetzt kann es gar nicht mehr schlimmer kommen, und zack, haut Dir das Schicksal noch eine rein. Und an einem solchen Tag geschah es. Ich will Dich jetzt nicht mit Details langweilen, aber ich übertreibe nicht. Nachdem sowieso nichts klappte, beschloss ich mich um die Hausarbeit zu kümmern. Da läutete es an der Tür. Wer das wohl sein konnte, um diese Zeit?, dachte ich noch, während ich gleichzeitig feststellte, dass ich gar nicht wusste was für eine Zeit überhaupt war. Ein Blick auf die Uhr enthüllte mir das Rätsel. Gerade mal 10.00 Uhr vormittags. Eine Zeit also, da alle anständigen Leute bei der Arbeit waren, außer mir, aber das ist auch in Ordnung, nachdem ich ja keiner ordentlichen Arbeit nachgehe oder vielleicht kein anständiger Mensch bin. Nein ich schweife nicht ab, das ging mir wirklich durch den Kopf, während ich zur Tür ging den nächsten Schicksalsschlag erwartend. An einem Tag wie diesem, dem ein ebensolcher voranging und wiederum ein ebensolcher und noch ein ebensolcher und noch ein ebensolcher. Ok, ok, es waren deren vierzehn. Ich mag nur dieses sich wiederholende Element. Und nein, ich zögere nicht die Geschichte hinaus, blase sie auch nicht künstlich auf. Aber vielleicht war es auch etwas Nettes, ein verspätetes oder verfrühtes Geburtstagsgeschenk, das per Post geschickt wurde. Aber nein, es war wahrscheinlich wieder irgendwer, der fechten kam, oder die Zeugen Jehovas. Gleichzeitig legte ich mir einen Plan zurecht. Ich hätte gerade keine Zeit für einen theologischen Diskurs, weil ich die Kinder niederlegen musste. Ob mir das wer glaubt, um 10.00 Uhr am Vormittag? Nein, noch besser, ich wäre gerade in meine Andacht vertieft und die dürfte ich eigentlich nicht unterbrechen. Wo war er nur geblieben, mein Andachtsblick? Rasch kramte ich ihn heraus, neben dem forschen, der für uneingeladene Vertreter reserviert war. Alles in allem, resümierte ich, überwog die Chance, dass es etwas Negatives sein könnte bei weitem die Möglichkeit einer positiven Wendung. Ich dachte so 70 zu 30 oder nein, eher 85 zu 15, aber immerhin, 15% sind immer noch eine Chance. Ja, selbst 1% wäre noch eine Chance, und eine Chance besteht immer. Außerdem hatte der Hund nicht gebellt, und die haben sprichwörtlich einen sechsten Sinn für das Schlechte. Obwohl, vielleicht divergierte ihre Ansicht von etwas Schlechtem ein wenig von meiner? Ein Briefträger ohne Leckerli, das war was Schlechtes. Ja, wir hatten einen anderen Blick auf die Welt, ich meinen Menschenblick und sie einen Hundeblick. Was ja auch völlig in Ordnung ist. Umgekehrt wäre es fatal. Es läutete nochmals. Da kannst Du mal sehen wieviele Gedanken da durch den Kopf schießen können, bloß auf den Weg zur Türe. Was das erst hochgerechnet auf den ganzen Tag bedeutet. Vorsichtig öffnete ich endlich die Türe, sehr vorsichtig, langsam und zaghaft. Immer noch war ich misstrauisch, doch was dann kam, das warf alles über den Haufen, was ich mir je zu träumen gestattet hätte, geschweige denn zu denken. Vor der Türe stand ein Freund, ein Freund aus längst vergangenen Zeiten. Ein Freund, mit dem mich viele Erinnerungen, heitere und traurige, beschwingte und nachdenkliche verbanden. Es gab eine Zeit, da waren wir schier unzertrennlich. Wir waren einander Anlaufstelle für alles was sich so tat im Leben, unterstützten uns und waren füreinander da. Also mit einem Wort, Freunde fürs Leben, doch vor einigen Jahren war er weggezogen, fünfhundert Kilometer weit weg. Und plötzlich war er wieder da. Die Jahre, die dazwischen waren, schienen wie weggeblasen, als wäre es gestern erst gewesen, dass wir uns das letzte Mal sahen. Ich spürte, wie mich die Freude eroberte und eine Wärme durchfloss. Es gab nichts zu sagen, was wirklich passend gewesen wäre, nur wortlos in die Arme genommen fühlte ich mich. Es tat gut. Es sagte alles, was ich zu sagen gab. Das war das eine Prozent, und was für eines. Doch als ich aufsah, sah ich meinen Mann, der hinter uns stand. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er gekommen war, doch nun sah ich einen Zorn in seinen Augen, wie ich ihn noch gesehen hatte. Dabei war doch alles ganz anders.

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