Ich will sein dürfen wie ich bin …
Lange hat es gedauert, aber ich habe mich entschieden. Lange
hat es gedauert, eigentlich viel zu lange, und jetzt will ich es ändern, denn
ich habe es satt, satt einfach in eine Schublade gepackt zu werden, für etwas,
für das ich nichts kann, für etwas, das eine Laune der Natur ist. Deshalb
schneide ich mir die Haare ab und trage nur mehr Hosen, weite, lange Hosen,
Männerhosen. Ich schneide mir die Nägel und verzichte auf Stöckel an den
Schuhen, und wenn es immer noch zu wenig ist, dann schnüre ich mir die Brüste
ein, wie andere den Bauch. Und dann sag mir, ob Du es noch sicher entscheiden
kannst, Mann oder Frau. Ja, ich bin als Frau geboren worden und Du als Mann,
aber ist das ein Grund anders behandelt zu werden, ist das ein Grund sich mit
anderen Erwartungen konfrontiert zu sehen? Ich will es nicht, dass ich in ein
vorformuliertes Fach gesteckt werde, dass ich stigmatisiert bin. Ich will, dass
ich angesehen werde und niemand denkt, aha, eine Frau, sondern, aha, ein
Mensch. Ist es denn nicht genug? Ihr seht nicht einen anderen an und denkt, aha
ein Mensch, so einer wie ich, mit allem was einen Menschen so auszeichnet, auch
noch in der Gebrochenheit, nein, ihr müsst gleich weiter denken. Ein Mensch,
aber nicht einfach ein Mensch, sondern, so wie in meinem Fall, eine Frau, und
wenn ihr eine Frau vor Euch habt, dann behandelt ihr die anders als einen Mann.
Dann denkt ihr als nächstes über die Figur nach und über das was sie anhat und
wie sie aussieht. Alt oder jung, dick oder dünn, schön oder nicht schön, als
wenn es mich in irgendeiner Weise qualifizieren würde, und es qualifiziert ab,
wenn die Handtasche nicht zu den Schuhen passt oder das Gewand nicht mehr neu
aussieht oder das Gesicht nicht den vorgeschriebenen Maßen entspricht. Und dann
wisst ihr genau wie sich eine Frau zu benehmen hat. Es gehört sich nicht, heißt
es dann, es gehört sich nicht, dass eine Frau wütend wird oder auch nur laut,
dass eine Frau sich vordrängt oder ihre Überlegenheit demonstriert, dass eine
Frau sich nicht automatisch zurückstellt oder unterordnet, dass eine Frau sich
als stark oder selbstsicher präsentiert, ohne eine Bestätigung abzuwarten,
sondern nur, weil sie das Vertrauen hat. Es gehört sich nicht, heißt es weiter,
es gehört sich nicht, dass ein Mann sich führen lässt oder auch mal schwach
ist, dass er sich bestätigen lässt oder sich zurückzieht, dass er mehr als
unbedingt notwendig auf sein Äußeres achtet oder sich selbst zurückstellt. Ich
will es nicht länger, weder für mich noch für Dich, weder für Frau noch für Mann.
Ich will, dass wir als Menschen gesehen werden, einfach nur als Menschen, als
Person, als je Ich und Du, dass wir nicht schubladisiert werden nach
irgendwelchen äußerlichen, zufälligen Merkmalen, sondern dass ihr hinseht,
hinhört und je als Person ernst nehmt, dass ihr nicht nach dem ersten, raschen,
flüchtigen Blick urteilt, sondern wenn es schon unbedingt ein Urteil sein muss,
erst dann, wenn ihr hingesehen und hingehört habt. Ich will, dass ihr lernt,
dass Frauen nicht so sind und eine Frau, die nicht so auftritt wie es von einer
Frau erwartet wird, deshalb keine Frau mehr ist, und ich will, dass ihr lernt,
dass Männer nicht so sind und ein Mann, der nicht so auftritt wie es von einem
Mann erwartet wird, deshalb kein Mann mehr ist. Ich habe es satt, dass das
Denken so eingleisig ist und ich will Dich anlächeln dürfen und meiner Freude
Ausdruck verleihen, ohne Hintergedanken, und ich will, dass Du Trauer zulassen
kannst als Mann ohne sie in Wut wandeln zu müssen. Ich will mich nicht länger
beugen – und wenn Du nicht mitziehst, wenn Du den Halt brauchst, den Dir die
überkommenen Vorstellungen bieten, dann tut es mir leid, aber dann kann nicht
länger mit Dir gehen. Ich will Dich Freund nennen, unabhängig vom Geschlecht,
oder auch nicht, aber ich will unabhängig sein von der Zufälligkeit, unabhängig
von Äußerlichkeiten, und Dich kennenlernen und annehmen lernen als Dich selbst.
Nichts weiter, unterschiedslos, nach äußeren Merkmalen, doch umso mehr nach
dem, was Dich als Person ausmacht. Und das macht Statussymbole und Besitz und
Äußerlichkeiten obsolet. Aber es wäre aufwendig, viel zu aufwändig, so dass Du
den Weg nicht mit mir gehen wirst können, aber dennoch, zumindest werde ich es
Dir nicht mehr leicht machen, ohne weibliche Attribute, versuch doch mal mich
einzuordnen. Es wird Dir nicht mehr gelingen, und Deine Welt wird aus den Fugen
geraten. Ich weiß schon, Du wirst es nicht so weit kommen lassen, denn es gibt
noch so viele, die weiter mitspielen und sich einordnen lassen. Dort fühlst Du
Dich wohl und sicher. Das ist Deine Welt, simpel, eindeutig und gedankenlos.
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