Erste Annäherung
„Mein Name ist Sandra Imbricht. Ich bin 25 Jahre alt und
hielt mich bis jetzt eigentlich für normal, halbwegs zumindest. Ich habe
Philosophie und Publizistik studiert, habe einen guten Job in einem Museum,
doch jetzt, jetzt sitze ich da und mir gegenüber eine Puppe, der einen Mann
ersetzen soll. Ob ich nicht doch ein wenig an mir zweifeln sollte?“, fragte ich
mich, als der Boy, der mir geliefert wurde mir gegenüber auf der Couch saß. Die
netten Herren hatten ihn aus der Verpackung genommen und auf der Couch
platziert, die Gebrauchsanweisung griffbereit am Wohnzimmertisch platziert. Ein
unangenehmes Gefühl beschlich mich. Ich erwischte mich dabei, dass ich mich
fragte wie er wohl ist, dieser Mann, der nun auf meiner Couch saß, die Augen geschlossen und die Hände auf den Knien
platziert. Er wirkte friedlich und ruhig, als würde er ein Schläfchen machen.
Er sah tatsächlich täuschend echt aus. Ich konnte mich nicht verhalten und
berührte ganz vorsichtig seine Hand, so vorsichtig, als würde ich fürchten
gebissen zu werden, und auch die Haut, die ihn umspannte fühlte sich ebenso
echt an, so echt, dass ich mich selbst daran erinnern musste, beinahe
gemahnend, dass es doch nichts weiter wäre als eine Puppe, zwar eine wirklich
grandiose, aber eben nur eine Puppe, und dass das, was ich hier machte nichts
weiter war als ein Job. Also nahm ich
wieder Platz, ihm gegenüber, und das unangenehme Gefühl versuchte ich mittels
Professionalität und Konzentration zu vertreiben, was mir mehr schlecht als
recht gelang.
„So, mein lieber ...“, begann ich mir selbst laut Mut
zuzusprechen, als ich merkte, dass ich noch gar nicht wusste, wie er eigentlich
hieß, mein neuer Mitbewohner. Aber vielleicht konnte mir die Gebrauchsanweisung
Aufschluss darüber geben. Ich schlug sie also auf, und begann zu lesen:
Liebe Frau Imbricht!
Wir freuen uns, dass
Sie bereit sind Ihren Boy für uns zu testen.
Wir werden Sie mit dieser Gebrauchsanweisung Schritt um Schritt führen.
Wir haben versucht Sie so einfach und gleichzeitig kompakt wie möglich aufzubauen.
Sie dient einem ersten Kennenlernen ebenso wie einem späteren Nachschlagen. Auf
jeder Seite werden Sie ausreichend Platz für persönliche Bemerkungen haben. Ich
hoffe, Sie machen reichlich davon Gebrauch, denn Ihre Anmerkungen, Ihre
Vorschläge und Ihre Kritik hilft uns den Boy stetig zu verbessern.
Wir wünschen Ihnen
viel Freude,
Ihre Dana Landweg
Direktorin
Fa. Frauenversteher
Erste Inbetriebnahme:
Ihr Boy arbeitet mit Strom. In seinem Inneren befinden sich
hochwertige Akkus mit einer Betriebslaufzeit von 24 Stunden ausgerüstet. Für
eine weitere vollständige Aufladung verbinden Sie den Boy mit dem Netzteil mit
der Steckdose. Sie müssen mit einer Ladezeit von ungefähr sechs Stunden
rechnen. Den Stecker finden Sie hinter dem rechten Ohr. Um Ihnen eine sofortige
Inbetriebnahme zu ermöglichen, wurde er von uns bereits voraufgeladen, so dass
Sie nun nicht weitere sechs Stunden warten müssen, sondern ihn sofort für sich
konfigurieren können. Diese Konfiguration wird ungefähr 20 min in Anspruch
nehmen. Der Münzeinwurf befindet sich
neben dem Stecker hinter dem rechten Ohr. Sie können selbst entscheiden wie
viele Münzen Sie einwerfen. Pro einer Einheit arbeitet er zehn Minuten lang.
Dann können Sie entweder eine weitere Münze einwerfen oder nicht, je nach Ihren
persönlichen Wünschen. Grundsätzlich können Sie Ihren Boy überall hin
mitnehmen, können ihn waschen und ausführen.
Erster Schritt: Die Namensgebung
Dieser Boy ist ihr ganz persönlicher. Deshalb ist die erste
Konfiguration auch von solch entscheidender Bedeutung. Diese kann nicht mehr
rückgängig gemacht werden. Er wird sich gänzlich auf Sie einstellen, und ist
damit für jede andere Kundin uninteressant. Bitte bedenken Sie dies und gehen
Sie sorgfältig mit ihm um, denn auch, wenn er nur eine Puppe ist, so ist er
doch ein wertvolles, elektronisches Gerät. Wenn hier etwas schiefläuft, kann
nichts anderes mehr getan werden, als ihn auszuweiden. Bedenken Sie dies, wenn
Sie ihm einen Namen geben.
Wenn Sie den passenden Namen gefunden haben, dann werfen Sie
die erste Münze ein und setzen Sie sich ihm gegenüber. Er wird die Augen öffnen
und Sie anlächeln. Dann halten Sie intensiven Blickkontakt und nennen Sie
seinen Namen, laut und deutlich. Innerhalb weniger Sekunden wird er den Namen
gespeichert haben. Warten Sie darauf bis er ihn wiederholt. Dann können Sie
sicher gehen, dass er ihn kennt.
Folgsam nahm ich also die Münze aus dem Münzbehälter und
warf ihn in den Münzeinwurf, setzte mich ihm gegenüber, und tatsächlich, kurz
darauf hatte er die Augen geöffnet und lächelte mich an.
„Barnabas“, sagte ich laut und vernehmlich, und wenige
Sekunden später wurde er aus dem Mund meines Boy wiederholt. Ich ließ dieses
eine, erste Wort aus seinem Mund nachklingen. Sanft und stark, warm und
einnehmend war diese Stimme, und ich erwiderte sein Lächeln, während ich mich
in seinen grünen Augen verlor.
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