Was es ausmacht
Sarah Wegener schüttelte traurig und auch ein wenig
irritiert den Kopf. Ihr vormals dunkles Haar war, das nun mit grauen Strähnen
durchsetzt war, hatte sie in einem strengen Knoten zusammengebunden. Mit ihren
fast fünfzig Jahren hatte sie nicht nur Jahre, sondern mehr Lebenserfahrung
gesammelt als manch einer in zwei Leben nicht geschafft hätte. Gemeinsam mit
ihrem Mann, Jonas Wegener, hatte sie die
meiste Zeit ihres Lebens in Krisengebieten dieser Welt verbracht, an
Brennpunkten. Als Ärztin sah sie ihren Platz dort, wo ihre Arbeit und ihre
Kenntnisse am dringendsten benötigt wurden. Bei einem dieser Einsätze lernte
sie Jonas kennen, mitten im Urwald. Seit Wochen waren sie im Einsatz gewesen.
Sie konnte also nicht mit ihrem guten Aussehen brillieren, aber mit ihrer
Kraft, ihrem unerschütterlichen Mut, mit dem sie jede Aufgabe anpackte, selbst
inmitten der größten Gefahr ruhig und besonnen blieb. Sie ergänzten sich, und
merkten, so vieles ging leichter gemeinsam. Es erschien ihnen wie Fügung, dass
sie sich begegnet waren, wie eine Naturgewalt, und dennoch so sanft und
bereichernd. In den wenigen Momenten der Ruhe unterhielten sie sich, merkten,
dass sie Literatur und Musik und Theater mochten. Seit jener Zeit waren sie ein
Paar. Fast dreißig Jahre waren seither vergangen. Zwei Kinder hatten sie,
hatten sie großgezogen und in die Welt gehen lassen, und wie in jeder Beziehung
hatten auch sie Höhen und Tiefen, und doch hatten sie es immer noch geschafft
sich aus den Tiefen zurückzuarbeiten. Aber letztendlich hatten sie es nie
zugelassen, dass das was sie verband von Alltagssorgen überdeckt würde.
„Da scheint etwas gewaltig schief zu laufen, wenn die Frauen
Puppen echten Männern vorziehen“, wandte sich Sarah an ihren Mann, der die
Zeitung weglegte und sie ansah.
„Ich habe den Eindruck, sie scheuen die Auseinandersetzung,
denn so wie ich das verstanden habe, spiegelt diese Puppe die Person, die sie
anspricht. Erweiterter, vertiefter Narzissmus. Nicht mehr auseinandersetzen zu
müssen mit einem Menschen und dessen Persönlichkeit, sondern nur mehr das zu
hören und zu sehen, was man hören und sehen will, was einem behagt“, spekulierte
Jonas.
„Aber es ist auch nicht leicht, vor allem, weil sehr viele
Menschen keinen Wert mehr auf eine eigene Persönlichkeit mit Ecken und Kanten
und Eigenheiten legen. Da ist die Auseinandersetzung auch nicht mehr nötig. Wie
kleine Kinder, die mit Puppen spielen, so wollen sie das umfassende Glück,
leicht, beschwingt und harmonisch, als wäre das ganze Leben ein einziges Spiel
und sie sind die Prinzessin bzw. der Prinz“, setzte Sarah hinzu.
„Die Auseinandersetzung, sie bedeutet Opfer und Einsatz,
manchmal auch Wut und Verzweiflung, doch wenn man nicht aufgibt, wenn man sich
einlässt und das Gemeinsam als Ziel vor Augen hat, dann kann es gelingen“,
ergänzte Jonas.
„An Schwierigkeiten wächst man nicht nur selbst, sondern
auch die Beziehung, daran reift sie“, merkte Sarah an.
„Ach deshalb hast Du mir immer wieder Schwierigkeiten
gemacht, Du wolltest mir helfen zu wachsen und zu reifen“, sagte Jonas mit
einem Augenzwinkern in Richtung seiner Frau.
„Natürlich, immer wieder habe ich mir neue Möglichkeiten
ausgedacht um Dir das zukommen zu lassen“, erwiderte sie, ebenso scherzend,
„Aber es ist schon was Wahres dran, wir haben es uns oft nicht leicht gemacht,
aber egal was war, wir konnten uns die Hand geben, über die Gräben hinweg und
fanden wieder zueinander. Das hat uns geformt und gefestigt. Doch wenn ich das
nicht zulasse, dann werde ich nie erleben wie das ist, wie erweiternd und
bereichernd es ist jemanden an seiner Seite zu haben, der einen jeden Tag vor
die Aufgabe stellt, dass er eine eigene Persönlichkeit ist, und nicht nur die
Spiegelung meiner Wünsche.“
„Doch wie lässt sich das vermitteln? Probleme und
Schwierigkeiten sind nicht chic, doch das Leben ist keine einzige Party“,
meinte Jonas nachdenklich, „Nein, chic ist es nicht, aber beglückend. Ob wir
uns einmischen sollen oder vielleicht noch abwarten wie sich das alles weiter
entwickelt?“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen