Die „gsunde Watschn“
Es war in der
Kindergruppe. Jeden Mittwoch trafen sich hier Mütter mit ihren Kindern, im
Alter von ein paar Monaten bis zu drei Jahren. Die Kinder sollten in Kontakt
mit anderen kommen, da die meisten Einzelkinder waren und diese Erfahrung somit
nur außer Haus möglich ist. Der Ablauf dieser zwei Stunden war immer derselbe.
Zuerst wurde gesungen und Spiele gemacht, und dann gejausnet und die Kinder
sollten untereinander spielen. Manche taten es. Andere nicht. Je nach Alter und
Laune. Und selbst wenn meine Tochter die ganze Stunde auf meinem Schoß saß,
akzeptierte ich es. Soziale Erfahrungen sind schön und gut, aber ich dachte
nicht im Traum daran sie dazu zu zwingen. Zu wie vielem wird sie in ihrem Leben
noch gezwungen werden, nicht nur durch andere, sondern auch durch sich selbst.
Heute war einer dieser Vormittage, an denen sie sich unter die Kinder mischte
und mit ihnen spielte. Oder eigentlich spielte sie nur mit Lara. Lara war ein
Monat älter als meine Tochter und erst seit kurzem bei der Gruppe, da ihre
Eltern erst hergezogen waren. Dementsprechend schüchtern war sie noch. Immer
wieder versuchte ihre Mutter sie dazu zu bewegen doch mit anderen zu spielen,
oder sich zumindest von ihr fernzuhalten, während wir saßen, Kaffee tranken und
jausneten. Immer wieder stand Lara bettelnd hinter ihrer Mutter, bettelnd um
Aufmerksamkeit. Sie fühlte sich nach wie vor unsicher in der Gruppe, und
deshalb suchte sie Halt bei dem einzigen Menschen, der ihr wirklich vertraut
war, doch jedes Mal wurde sie weggeschickt. Die ersten Male war Laras Mutter
noch freundlich, doch auch hier spürte ich den angespannten Ton in ihrer
Stimme. Danach wurde sie zusehends unfreundlicher.
„Kannst Du mich nicht
endlich in Ruhe lassen? Geh und spiel. Ich will mich hier unterhalten“,
erklärte sie brüsk. Mit hängenden Schultern trollte sich Lara wieder, um ein
paar Minuten später den nächsten Anlauf zu wagen, doch die Reaktion war die
Gleiche. In dem Moment kam meine Tochter zu mir. Sie wollte mir etwas zeigen, etwas,
das sie gebaut hatten. Ich ließ mich an der Hand nehmen und ging mit ihr mit.
Es war wirklich ein toller Turm geworden, und ich unterließ es nicht sie zu
loben, zumal ich ja wusste, dass sie eine Woche zuvor noch nicht die Geduld
gehabt hätte. Dann war sie sofort wieder in ihr Spiel vertieft und ich ging
zurück zu meinem Platz.
„Du wirkst so entspannt“,
wandte sich nun Laras Mutter an mich, „Geht Dir das nicht auf die Nerven, wenn
sie ständig etwas von Dir wollen?“
„Nein, weil ich die
Entscheidung getroffen habe Kinder zu bekommen und damit die Verantwortung
übernommen habe. Es ist meine Pflicht für sie da zu sein, wenn sie mich
braucht“, entgegnete ich überzeugt.
„Ach ja? Du hast sicher
eine Oma, die sie Dir abnimmt oder einen von diesen Supermännern, die Dich
unterstützen“, erklärte sie trocken.
„Nein, weder das eine noch
das andere“, gab ich zurück.
„Dann hast Du ein
besonders braves Kind und ...“, mutmaßte sie weiter, doch weiter kam sie nicht,
denn schon wieder stand Lara da, suchte Hilfe und Schutz, und ich sah wie sich
die Augen von Laras Mutter zu Schlitzen verengten, als sie sich zu ihr
umwandte, „Du sollst mir nicht auf die Nerven gehen.“ Und dann hörte ich ein
Klatschen. Mit einem Mal war es mucksmäuschenstill, nur das leise Schluchzen
von Lara war zu vernehmen. Ihre Mutter fühlte sich sichtlich unwohl in ihrer
Haut, denn aller Augen waren auf sie gerichtet.
„Was ist?“, entschied sie
sich für einen Gegenschlag, „So eine ‚gsunde Watschn’ hat doch noch keinem
geschadet!“
„Auf jeden Fall ist es ein
Armutszeugnis und eine Bankrotterklärung. Wie erbärmlich muss man sein, wenn
man jemanden schlagen muss, der so völlig hilflos und abhängig ist? Es ist
widerlich und verabscheuungswürdig!“, entgegnete ich ruhig und mit Überzeugung.
Und trotz allem sieht ein
Drittel der Österreicher die sog. „gsunde Watschn“ immer noch als probates
Erziehungsmittel, doch das einzige was damit erreicht wird ist die Weitergabe
von Gewalt. Absolut nichts auf der Welt rechtfertigt diese gegenüber einem
Kind.
Laras Mutter sprang auf
und schnappte ihre Tochter und verließ die Gruppe. Manchmal habe ich sie noch
getroffen, doch kein einziges Mal sah ich Lara lachen.
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