Alles was zählt
Wieder einmal hatte Flora
Lust auf Exotik. Das letzte Mal hatte ich sie in die Bank mitgenommen, und das
war doch recht amüsant gewesen, was sie da erlebt hatte, meinte sie im
Nachhinein. Ihre Mutter jedoch wäre wohl einem Nervenzusammenbruch nahe
gewesen, hätte sie gewusst, was da genau los gewesen war, aber nachdem ich
meinen Nestroy recht gut kannte, hielt ich mich an ihn und seinen Satz „Die
Frau Muttern braucht auch nicht alles zu wissen“, und erließ es Flora
Einzelheiten zu erzählen, die ebenso der Meinung war, dass man die Mama ja
nicht unbedingt unnötig beunruhigen musste. Aber es war schon lustig gewesen,
so ein wenig genauer in die Welt der Erwachsenen hinein zu schnuppern, so dass
ich ihr fest versprechen musste, wieder einmal mit ihr einen solchen Ausflug zu
machen, denn das sei, so meinte sie, viel lustiger als die exotischen Tiere im
Zoo. Ich hielt Wort und nahm sie mit in eine Fabrik. In dieser wurden
Kinderwägen hergestellt. Nachdem ich mit Flora durch die Produktionshalle
geschlendert war, die doch einen gespenstischen Eindruck bei uns hinterließ, da
die Maschinen ganz alleine zu arbeiten schienen, gingen wir zum Büro des
Direktors. Die Vorzimmerdame hielt uns auf.
„Wen darf ich melden?“,
fragte sie im geschäftsmäßigen Ton.
„Du hast ein wunderschönes
Kleid an“, entgegnete Flora lächelnd.
„Ah ja, danke“, sagte die
Frau verlegen, hüstelte ein wenig, wohl um ihre Verlegenheit zu überspielen,
und war dann wieder ganz taff, „Wen darf ich melden? Haben Sie einen Termin?“
„Sag dem Herrn Direktor,
ich bin Flora, und ich möchte ihn fragen nach dem Warum“, bat Flora lächelnd,
„Termin brauchen wir keinen.“
„Ohne Termin kann niemand
zum Herrn Direktor“, meinte die Vorzimmerdame, und ich war schon bereit kehrt
zu machen, doch Flora ließ sich nicht beirren, und als das Telefon klingelte
und sich die Vorzimmerdame abwandte, nutzte sie die Gunst der Stunde und zog
mich hinter sich her in das Büro des Direktors. Dieser saß gerade an seinem
Schreibtisch und hämmert wie wild auf die Tastatur seines Computers.
„Was machst Du da?“,
fragte Flora interessiert.
„Ich arbeite, das sieht man doch“, antwortete der Direktor ungeduldig.
„Wie lange machst Du
das?“, fragte Flora weiter.
„So lange es notwendig
ist“, entgegnete der Direktor.
„Aber Du bist doch krank“,
meinte Flora leichthin, der die verschiedenen Päckchen mit Medizin nicht
entgangen waren, die sich auf dem Schreibtisch des Direktors türmten.
„Ich bin nicht krank, ich
muss arbeiten“, entgegnete der Direktor.
„Aber warum nimmst Du dann
so viel Medizin?“, insistierte Flora.
„Damit ich nicht krank
werde. Ich habe Tabletten gegen die Müdigkeit und gegen die Aufregung, gegen
Kopf- und Hals- und Bauchweh. Dann habe ich das alles nicht und kann immer
arbeiten“, ereiferte sich der Direktor, „Die moderne Pharmazie ist doch ein
Segen für die Menschheit.“
„Und warum arbeitest Du?“,
fragte nun Flora.
„Um Geld zu verdienen und
ein angenehmes Leben führen zu können“, entgegnete der Direktor überzeugt.
„Hast Du schon viel
Geld?“, fragte Flora weiter.
„Mehr als ich je ausgeben
könnte“, gab der Direktor zu.
„Und warum arbeitest Du
dann?“, fragte Flora.
„Um noch mehr Geld zu
verdienen und noch angenehmer Leben zu können“, meinte der Direktor.
„Und wann lebst Du
angenehm, wenn Du immer arbeitest?“, fragte Flora wiederum.
„Wenn ich mit der Arbeit
fertig bin“, entgegnete der Direktor, und warf sich eine Pille ein, eine gegen
die Müdigkeit.
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