2111 Alles was zählt


 

Alles was zählt


Wieder einmal hatte Flora Lust auf Exotik. Das letzte Mal hatte ich sie in die Bank mitgenommen, und das war doch recht amüsant gewesen, was sie da erlebt hatte, meinte sie im Nachhinein. Ihre Mutter jedoch wäre wohl einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen, hätte sie gewusst, was da genau los gewesen war, aber nachdem ich meinen Nestroy recht gut kannte, hielt ich mich an ihn und seinen Satz „Die Frau Muttern braucht auch nicht alles zu wissen“, und erließ es Flora Einzelheiten zu erzählen, die ebenso der Meinung war, dass man die Mama ja nicht unbedingt unnötig beunruhigen musste. Aber es war schon lustig gewesen, so ein wenig genauer in die Welt der Erwachsenen hinein zu schnuppern, so dass ich ihr fest versprechen musste, wieder einmal mit ihr einen solchen Ausflug zu machen, denn das sei, so meinte sie, viel lustiger als die exotischen Tiere im Zoo. Ich hielt Wort und nahm sie mit in eine Fabrik. In dieser wurden Kinderwägen hergestellt. Nachdem ich mit Flora durch die Produktionshalle geschlendert war, die doch einen gespenstischen Eindruck bei uns hinterließ, da die Maschinen ganz alleine zu arbeiten schienen, gingen wir zum Büro des Direktors. Die Vorzimmerdame hielt uns auf.
„Wen darf ich melden?“, fragte sie im geschäftsmäßigen Ton.
„Du hast ein wunderschönes Kleid an“, entgegnete Flora lächelnd.
„Ah ja, danke“, sagte die Frau verlegen, hüstelte ein wenig, wohl um ihre Verlegenheit zu überspielen, und war dann wieder ganz taff, „Wen darf ich melden? Haben Sie einen Termin?“
„Sag dem Herrn Direktor, ich bin Flora, und ich möchte ihn fragen nach dem Warum“, bat Flora lächelnd, „Termin brauchen wir keinen.“
„Ohne Termin kann niemand zum Herrn Direktor“, meinte die Vorzimmerdame, und ich war schon bereit kehrt zu machen, doch Flora ließ sich nicht beirren, und als das Telefon klingelte und sich die Vorzimmerdame abwandte, nutzte sie die Gunst der Stunde und zog mich hinter sich her in das Büro des Direktors. Dieser saß gerade an seinem Schreibtisch und hämmert wie wild auf die Tastatur seines Computers.
„Was machst Du da?“, fragte Flora interessiert.
„Ich arbeite, das sieht man doch“, antwortete der Direktor ungeduldig.
„Wie lange machst Du das?“, fragte Flora weiter.
„So lange es notwendig ist“, entgegnete der Direktor.
„Aber Du bist doch krank“, meinte Flora leichthin, der die verschiedenen Päckchen mit Medizin nicht entgangen waren, die sich auf dem Schreibtisch des Direktors türmten.
„Ich bin nicht krank, ich muss arbeiten“, entgegnete der Direktor.
„Aber warum nimmst Du dann so viel Medizin?“, insistierte Flora.
„Damit ich nicht krank werde. Ich habe Tabletten gegen die Müdigkeit und gegen die Aufregung, gegen Kopf- und Hals- und Bauchweh. Dann habe ich das alles nicht und kann immer arbeiten“, ereiferte sich der Direktor, „Die moderne Pharmazie ist doch ein Segen für die Menschheit.“
„Und warum arbeitest Du?“, fragte nun Flora.
„Um Geld zu verdienen und ein angenehmes Leben führen zu können“, entgegnete der Direktor überzeugt.
„Hast Du schon viel Geld?“, fragte Flora weiter.
„Mehr als ich je ausgeben könnte“, gab der Direktor zu.
„Und warum arbeitest Du dann?“, fragte Flora.
„Um noch mehr Geld zu verdienen und noch angenehmer Leben zu können“, meinte der Direktor.
„Und wann lebst Du angenehm, wenn Du immer arbeitest?“, fragte Flora wiederum.
„Wenn ich mit der Arbeit fertig bin“, entgegnete der Direktor, und warf sich eine Pille ein, eine gegen die Müdigkeit.

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