Flucht vor Deinem Antlitz
Er aber schleuderte einen großen Wind
aufs Meer, ein großer Sturm ward auf dem Meer, daß das Schiff zu zerbrechen
meinte.[1]
Ich schiffte mich also ein. Es hatte sich alles wohl
getroffen, denn gerade als ich an der Küste anlangte, entdeckte ich ein Schiff,
einen prachtvollen Dreimaster, der den Anschein erweckte, dass er sich weder
Sturm noch Angreifer beugen musste. Ein stolzes Schiff, perfekt für seine
Aufgabe Menschen und Ladungen sicher und bequem über die ewig sich erneuernden
Wellen des Ozeans zu tragen, von einem Hafen zum anderen, unter dem sorgsamen
und wachsamen Auge des erfahrenen Kapitäns, der niemals den Überblick verlor
und immer alles fest im Griff hatte. Dieses Schiff war gerade im Begriff
auszulaufen. Gerade im letzten Moment erreichte ich es. Man erklärte sich
bereit mich noch aufzunehmen, denn zufällig war noch eine Kabine frei. Ich
fühlte mich wie ein Hase, der einen letzten Haken vor dem Verfolger geschlagen
hatte, der diesen endgültig verwirrte und dazu veranlasste von seinem Mord- und
Freßvorhaben abzulassen. Ich war überzeugt davon, ich hatte Dich überlistet,
Dich, der Du mich zu diesem absurden Auftrag beriefst, der keinen Lohn für mich
bedeutete, sondern nur Belastung. Aber ich war geflohen, vor Deinem Antlitz.
Frohgemut bezog ich meine Kabine, und wenige Minuten später befanden wir uns
bereits auf offener See. Sonnenschein lag in der Luft, so dass ich mich an Deck
begab um die Wärme zu genießen. Der Bug des Schiffes zerschnitt lautlos und
majestätisch die ruhige See. Wie gebügelt schien das Wasser, dachte ich mir
noch, als ich mich hinzuzufügen genötigt sah, dass wohl die erste Büglerin
ihren Dienst beendet und eine zweite ihren Dienst aufgenommen hatte. Doch diese
zweite zeigte weit weniger Sorgfalt als die erste, wie ich betrübt feststellte,
denn das Wasser bekam immer mehr Knickerfalten. Jetzt hat sie wohl aufgegeben
und alles einfach zerknüllt in eine Ecke geworfen. Ein Sturm setzte ein, wie
aus dem Nichts. Der wolkenlose, blaue Himmel hatte sich in kürzester Zeit mit
dunkelgrauen, tiefhängenden Wolken überzogen. Nicht der kleinste Sonnenstrahl
war mehr zu sehen, so undurchdringlich war diese Wolkendecke. Und ebenso
unverhofft und plötzlich öffnete der Himmel seine Schleusen, so dass der Regen
wie ein Sturzbach herniederfiel. Dazu kam noch ein heftiger Sturm, der uns
unablässig umbrauste. Das Schiff, das so stolz und unbezwingbar auf mich
gewirkt hatte, wurde von den immer mehr sich türmenden Wellen herumgeschleudert
wie eine Streichholzschachtel. Längst waren die Segel eingezogen, doch die
Naturgewalten setzten das Schiff in arge Bedrängnis. Dem hatten wir nichts
entgegen zu setzen. Die Menschen flehten zum Himmel, flehten zu dem, der sie
aus der Namenlosigkeit geführt hatte, dass er sie und ihr Leben rettete. Ich
hörte sie rufen und flehen, gepeinigt von Todesangst. Ich trug die
Verantwortung. Wegen mir war dieser Sturm. Und so konnte ich diese Menschen
retten. Hättest Du mir doch Zeit gegeben, zu reifen, vierzig Tage Zeit, doch Du
setztest es einfach voraus. Vielleicht wusstest Du einfach mehr von mir als ich
selbst. So sprach ich, sie sollten mich über Bord werfen, dass die Not ein Ende
hätte, denn ich wusste, dass ich es war, der sie retten konnte. Und sie warfen
mich ins Meer. Erst als ich untergegangen war, glätteten sich die Wellten, der
Himmel erstrahlte wieder in Blau, und ich, ich überließ mich dem Untergang.
Vielleicht hätte ich ihn doch annehmen sollen, diesen Auftrag, aber woher hätte
ich denn wissen sollen, dass ich deshalb sterben müsste.
[1] Jona 1,4. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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