Der Auftrag
Seine Rede geschah zu Jona Sohn Amitajs,
es sprach: Steh auf, wandre nach Ninive, der großen Stadt, und rufe über ihr
aus, daß ihre Bosheit vor mein Antlitz herübergezogen ist. Jona stand auf, nach
Tarschisch zu flüchten, von Seinem
Antlitz fort.[1]
Ich fliehe vor Dir. Was gibt es für mich zu gewinnen? Was
habe ich davon, wenn ich mich weiterhin einlasse, wenn ich Deinen Auftrag
erfülle? Was habe ich davon? Nichts als Spott und Hohn. Für Dich darf ich den
Kopf hinhalten, und Du selbst bist weit weg. Entziehst Dich vor dem Faktischen.
Nichts weiter gibst Du mir als einen Auftrag. Was dann? Dann lehnst Du selbst
Dich zurück, und ich soll machen. Ich finde es nicht fair. Was hast Du für mich
getan? Du hast mich mit Deinem Ruf zu mir selbst berufen, hast mich in die
Namenlosigkeit geführt, Du, und die Menschen, die mir in Wahrheit und Offenheit
begegneten. Du führtest sie mir zu. Und weiter? War da noch etwas, das
rechtfertigt, dass Du mich jetzt so mir nichts Dir nichts nach Ninive schickst
und dann soll ich den Menschen auch noch sagen, dass sie böse sind. Da werden
die aber so schön schauen. Wahrscheinlich werden sie mich sofort erschlagen und
meine Kadaver den Hyänen und Schakalen zum Fraß vorwerfen. Du bist dabei nicht
in Gefahr. Vielleicht ist dann ein anderer, den Du auch schickst, mit dem
selben Auftrag, und wenn es diesem genauso ergeht wie mir, dann schickst Du den
nächsten und immer so weiter. Du leidest ja keinen Mangel. Aber mir ist mein
Leben wert. Die andere Möglichkeit wäre, dass ich denen in Ninive sage, dass
sie Böses tun und ihre Stadt deshalb vernichtet werden soll, und sie besinnen
sich, so dass sie sich bekehren und das Böse fürderhin lassen und das Gute tun.
Was wird dann passieren? Dann wirst Du die Stadt nicht vernichten, und ich
stehe erst blöd da. Wie ich es auch drehe und wende, Dein Auftrag ist mein
Untergang. Entweder in Form meines Lebens oder meiner Reputation. Ich fliehe,
weg von Deinem Antlitz, weil ich beides nicht will. Du findest mich, ganz
gleich, was ich tue. Aber was dann? Wenn ich mich aufs nächstbeste Schiff
begebe, wirst Du dann einen Sturm schicken, der erst aufhört, wenn mich die
Besatzung ins Meer wirft? Und dann, wird mich ein Wal verschlucken? Was für ein
absurder Gedanke. Ich fliehe vor Deinem Antlitz, das mich so herausfordert.
Kann sein, dass ich Dir nicht entkommen kann, aber ich muss es zumindest
versuchen. Und dann fange ich irgendwo anders, weitab von Dir ein ganz neues
Leben an. Ganz gleich was ich mache, und wenn es das Abkratzen des Kotes von
den Straßen ist. Alles besser als das. Aber was soll das überhaupt? Du erteilst
mir einen Auftrag, ohne mich zu fragen, einfach so, und ich soll ihn befolgen.
Und dabei dachte ich, dass Du es gut meintest, als Du mich beriefst, aus der
Namenlosigkeit in die Namhaftigkeit, dass Du mir wohlgesonnen warst, aber dabei
schien es nichts weiter als die Vorbereitung auf diese Unvermeidlichkeit hier
zu sein. Wie dumm ich doch gewesen bin, wie leichtgläubig und naiv. Ich hatte
keine Hintergedanken, aber offenbar Du. Eigentlich kann ich es immer noch nicht
richtig glauben, dass es so ist, dass Du mich so gebrauchst. Warum gehst Du
nicht selbst nach Ninive und tust was immer Dir gefällt? Nein, mich musstest Du
dafür ausersehen. Dabei hätte ich noch so viel anderes zu tun. Stattdessen
erteilst Du mir einen Auftrag, quasi aus heiterem Himmel, und meinst, dass ich
einfach alles liegen und stehen lasse und das mache. Aber da hast Du Dich
geschnitten. Ich werde fliehen und mich verstecken, vor Dir und Deinem Auftrag.
Und dann werden wir ja sehen was passiert. Aber schließlich bin ich ja nicht
Dein Eigentum, mit dem Du schalten und walten kannst wie Du willst. Ich bin ein
freier Mensch mit einem freien Willen. Das hast Du selbst gesagt. Ja, betont
hast Du es noch, und dann das. Ich fliehe, hinaus aufs Meer, weg aus Deinem
Antlitz.
[1] Jona 1,1-3a. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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