1903 FastEndZeit (Teil 30):


Zorn


Das erboste Jona, einer großen Erbosung, es entflammte ihn, er betete zu Ihm, er sprach:
Ach, Du! war nicht dies meine Rede gewesen, als ich noch auf meinem Boden war? deswegen wollte ich zuvorkommen, nach Tarschisch zu flüchten! Ich wusste ja, dass du eine gönnende und erbarmende Gottheit bist, langmütig, reich an Huld und leid wird’s dir des Bösgeschicks.[1]

Ich erboste, ja, das tat ich, weil ich mich leid sah. Elend und Verderben hätte über Ninive kommen sollen. So hattest Du es gesagt, doch dann machtest Du einen Rückzieher. Natürlich machtest Du das, denn das Du, das abfällt in die vorangegangene Namenlosigkeit, das sich abwendet und flieht, in die dingliche Welt, in eine Welt der Geschäftigkeit, die keinen Blick für den anderen kennt und kein Wort außer Befehl und Unterordnung, den fordertest Du zu sich selbst heraus, indem Du ihn durch mich erinnertest. Und da er aufsah. Sein Treiben, in das er sich verlor bei Seite schob und verstand, kehrte er zurück in die Namhaftigkeit, schenkte er sich selbst die Möglichkeit zurück zu hören. Nichts weiter ist nötig als aufzublicken zu dem fernen Horizont, der das Leben bedeutet, und die Sonne ward hell und klar wieder, und die Menschen freundlich und zuversichtlich. Ja, Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen schenkt es, das Wort, das nochmals ergeht, und das die Möglichkeit schafft umzukehren, herauszufinden aus dem Bisherigen in ein Neues. Nicht nur, dass Du ihnen diese Chance eröffnetest, Du gabst ihnen auch die nötige Zeit zu begreifen. Vierzig Tage zu reifen, sich zu prüfen, sich zu erziehen, und wahrhaftig, sie nutzten diese Zeit und fanden zurück zur Annahme, so dass es weit über die Stadt erscholl. Ein Herold hätte nicht solche Wirkung getan, nicht ein Beben, nicht ein Sturm, nicht ein Feuer, aber Deine Stimme, die vorüberzog im verschwebenden Schweigen, umwehend, umfassend, leicht und warm und belebend, das genügte, dass die Menschen aufsahen und sich bekehrten. Ich war nichts weiter als Dein Handlanger, Dein Vasall, Dein Diener, der doch nichts tat. Sie hörten mir zu. Ich entfernte die Verkrustungen und verlebten Züge aus ihrem Antlitz. Sie ließen ab von Frevel und Bosheit, doch letztlich war nicht ich es. Du hast es getan, so wie Du alles tust. Und jetzt, jetzt sind sie wieder auf dem Pfad des Miteinander. Wozu hast Du mich zu solchem Dienst geholt, wenn es doch nicht mehr war als ein Ablenkungsmanöver? Warum hast Du mich in solche Schmach gezerrt? Für die Menschen in der Stadt warst Du bereit, doch für mich nicht. Du hast mich schändlich im Stich gelassen und nur noch ihnen zugewendet. So ist die Stadt verschont geblieben, aber für meinen Untergang hast Du gesorgt. Ich habe alles hinter mir gelassen, nur dass ich jetzt fliehen muss, weil es mich nicht duldet in dieser Stadt der Umkehr. Warum hast Du mich nicht belassen können in meinem eigenen Leben? Warum hast Du Dir nicht irgendeinen anderen ausgesucht, der sich darin geschickt hätte, irgendeinen Idioten, der bloß die Schultern zucken hätte lassen und den Staub von seinen Füßen abklopfte, wenn er gegangen wäre? Warum war ich das Ziel Deiner Demütigung, dass ich die Schmach jetzt trage, eine Schmach, wie Kain sein Mal, dass es jeder sehen möge, so dass ich keine andere Wahl habe als hier in der Wüste, in der Einsamkeit zu verbleiben? Aber immer noch lässt Du mich nicht in Ruhe mit Deinen Spielchen, schenkst mir eine Staude, die mir Schatten spendet, lässt sie wachsen, bloß um sie wieder verdorren zu lassen, dass ich verschmachtend verderbe, hier am Grund meines Elends, und Du hast vielleicht noch Freude daran. Ich dachte, mein Name sei Dir bekannt und nahmst mich an, als in Deinem Namen, aber nichts von alle dem. Einsam und verlassen werde ich hier elend vergehen, wie die Staude, und wie es Ninive gebührt hätte.


[1] Jona 4,1f. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

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