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Erhard Einloft/pixelio.de |
Stups mich nicht!
Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Der Himmel zeigte
sich in seinem schönsten Blau, das nur durch kleine, hübsche, kuschelig
wirkende Schäfchenwolken unterbrochen wurde. Die Sonne strahlte mich an. Doch
mich tangierte das wenig. Sollten sie doch schön sein und um die Wette strahlen
wie sie wollen. Das taten sie sowieso, weil ihnen eben nichts anderes übrigblieb.
Es war so wie es war. Ich war nicht speziell gemeint. Der blaue Himmel war für
alle sichtbar, und auch die strahlende Sonne. Das war pure Gleichmacherei. Dann
sollten es eben die anderen bemerken. Trotz dieser tollen Voraussetzungen, die
mich an manch anderen Tag wohl in Hochstimmung versetzt hätten, blieb ich übel
gelaunt. Semi-depressiv, diagnostizierte ich an mir selbst messerscharf. Auch
wenn es diesen Ausdruck in der offiziellen Diagnostik nicht gibt, so passt er
doch vorzüglich für Tage, an denen ich die Kraft finde das Bett zu verlassen,
mich aber dennoch nicht auf die Welt einlassen will. Also nicht ganz depressiv,
aber auch nicht ganz frei davon, eben dazwischen, halb, semi. Dieser
Zwischenzustand ist bedauernswert, und genau das tat ich, mich bedauern, weil
es eben nicht ausreichte um jemand anderen zu sagen, Du ich bin mal eben
depressiv, lass mich in Ruhe, aber auch nicht, ich bin heute richtig gut
aufgelegt, erzähl mir was auch immer Du magst. Ich wollte weder Ruhe noch
Unruhe. Eben was dazwischen. Deshalb fasste ich einen Entschluss und ging
spazieren. Es war ein Weg, den ich noch nicht gegangen war, der bei einer Wiese
endete, auf der ich noch nicht gewesen war. Da setzte ich mich ins Gras, weil
ich mich ärgerte, dass ich diesen Weg eingeschlagen hatte, obwohl ich ihn nicht
kannte. Jetzt würde ich den gleichen Weg wieder zurückgehen müssen, weil es
eben hier nicht weiterging. Es war eine Sackgasse. Ich saß in der Falle.
Rundwege sind gut, aber Wege, die einfach enden, die gefallen mir nicht. So saß
ich im Gras und suchte eine Alternative, auch wenn mir von vornherein klar war,
dass mir nichts einfallen würde, denn dazu hätte ich mich umsehen müssen.
Außerdem war ich gerade in der Stimmung, in der ich nichts mehr wollte, als mir
leid zu tun, und das tat ich ausführlich und mit Wonne. Doch nicht einmal das
sollte mir vergönnt sein, denn plötzlich wurde ich gestupst. Tatsächlich,
gestupst. Als erst meinte ich, ich wäre einfach so verwirrt, denn Stupsen, das
gibt’s doch nur mehr auf Facebook. Unwillig strich ich über meine Schulter, die
den Stupser abbekommen hatte, doch dann geschah es ein zweites Mal. Endlich
drehte ich mich um, und erschrak, denn ich saß, Nase an Nase mit einem Tier da,
oder besser gesagt wohl Nüster an Nase. Unwillkürlich entfuhr mir ein Schrei,
ein kleiner, spitzer Schrei. Doch das Tier mit den Nüstern ließ sich davon
nicht verunsichern. Lammfromm stand es da und sah mich an, mit diesen großen,
sanften, braunen Augen. Es war ein Esel, ein kleiner, grauer Esel. Eigentlich
unscheinbar, ja unschuldig wirkte er, doch ich wusste genau was er vorhatte,
denn er war sicher hinterlistig. Er wollte mich aus meiner Semi-Depressivität
herausholen und mich dazu zu zwingen mich am Grün des Grases, dem Blau des
Himmels und dem Strahlen der Sonne zu erfreuen, doch das würde ihm nicht
gelingen. Das sagte ich ihm auch.
„Es wird Dir nicht gelingen!“, sagte ich ihm, doch auch das
ließ ihn völlig kalt. Nochmals stupste er mich.
„Es wird Dir ganz bestimmt nicht gelingen!“, wiederholte
ich, doch ich spürte bereits, dass die Worte ihre Kraft verloren. Zufrieden
zupfte er ein paar Grashalme ab. Dann sah er mich wieder an, während ich
zaghaft die Hand ausstreckte und auf seinen Hals legte. Das Fell fühlte sich
struppig an, als wäre es seit Ewigkeiten nicht gebürstet worden, doch auch
angenehm und warm.
„Morgen komme ich wieder und striegle Dich“, meinte ich
leise. Zufrieden trabte er davon, während ich mich doch noch erfreute. Voller
Tatendrang ging ich zurück, den gleichen Weg, doch es war mir egal. Ich würde
ihn noch oft gehen, und hoffte, er würde mich wieder stupsen.
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