0206 Stups mich nicht!


Erhard Einloft/pixelio.de

Stups mich nicht!


Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Der Himmel zeigte sich in seinem schönsten Blau, das nur durch kleine, hübsche, kuschelig wirkende Schäfchenwolken unterbrochen wurde. Die Sonne strahlte mich an. Doch mich tangierte das wenig. Sollten sie doch schön sein und um die Wette strahlen wie sie wollen. Das taten sie sowieso, weil ihnen eben nichts anderes übrigblieb. Es war so wie es war. Ich war nicht speziell gemeint. Der blaue Himmel war für alle sichtbar, und auch die strahlende Sonne. Das war pure Gleichmacherei. Dann sollten es eben die anderen bemerken. Trotz dieser tollen Voraussetzungen, die mich an manch anderen Tag wohl in Hochstimmung versetzt hätten, blieb ich übel gelaunt. Semi-depressiv, diagnostizierte ich an mir selbst messerscharf. Auch wenn es diesen Ausdruck in der offiziellen Diagnostik nicht gibt, so passt er doch vorzüglich für Tage, an denen ich die Kraft finde das Bett zu verlassen, mich aber dennoch nicht auf die Welt einlassen will. Also nicht ganz depressiv, aber auch nicht ganz frei davon, eben dazwischen, halb, semi. Dieser Zwischenzustand ist bedauernswert, und genau das tat ich, mich bedauern, weil es eben nicht ausreichte um jemand anderen zu sagen, Du ich bin mal eben depressiv, lass mich in Ruhe, aber auch nicht, ich bin heute richtig gut aufgelegt, erzähl mir was auch immer Du magst. Ich wollte weder Ruhe noch Unruhe. Eben was dazwischen. Deshalb fasste ich einen Entschluss und ging spazieren. Es war ein Weg, den ich noch nicht gegangen war, der bei einer Wiese endete, auf der ich noch nicht gewesen war. Da setzte ich mich ins Gras, weil ich mich ärgerte, dass ich diesen Weg eingeschlagen hatte, obwohl ich ihn nicht kannte. Jetzt würde ich den gleichen Weg wieder zurückgehen müssen, weil es eben hier nicht weiterging. Es war eine Sackgasse. Ich saß in der Falle. Rundwege sind gut, aber Wege, die einfach enden, die gefallen mir nicht. So saß ich im Gras und suchte eine Alternative, auch wenn mir von vornherein klar war, dass mir nichts einfallen würde, denn dazu hätte ich mich umsehen müssen. Außerdem war ich gerade in der Stimmung, in der ich nichts mehr wollte, als mir leid zu tun, und das tat ich ausführlich und mit Wonne. Doch nicht einmal das sollte mir vergönnt sein, denn plötzlich wurde ich gestupst. Tatsächlich, gestupst. Als erst meinte ich, ich wäre einfach so verwirrt, denn Stupsen, das gibt’s doch nur mehr auf Facebook. Unwillig strich ich über meine Schulter, die den Stupser abbekommen hatte, doch dann geschah es ein zweites Mal. Endlich drehte ich mich um, und erschrak, denn ich saß, Nase an Nase mit einem Tier da, oder besser gesagt wohl Nüster an Nase. Unwillkürlich entfuhr mir ein Schrei, ein kleiner, spitzer Schrei. Doch das Tier mit den Nüstern ließ sich davon nicht verunsichern. Lammfromm stand es da und sah mich an, mit diesen großen, sanften, braunen Augen. Es war ein Esel, ein kleiner, grauer Esel. Eigentlich unscheinbar, ja unschuldig wirkte er, doch ich wusste genau was er vorhatte, denn er war sicher hinterlistig. Er wollte mich aus meiner Semi-Depressivität herausholen und mich dazu zu zwingen mich am Grün des Grases, dem Blau des Himmels und dem Strahlen der Sonne zu erfreuen, doch das würde ihm nicht gelingen. Das sagte ich ihm auch.
„Es wird Dir nicht gelingen!“, sagte ich ihm, doch auch das ließ ihn völlig kalt. Nochmals stupste er mich.
„Es wird Dir ganz bestimmt nicht gelingen!“, wiederholte ich, doch ich spürte bereits, dass die Worte ihre Kraft verloren. Zufrieden zupfte er ein paar Grashalme ab. Dann sah er mich wieder an, während ich zaghaft die Hand ausstreckte und auf seinen Hals legte. Das Fell fühlte sich struppig an, als wäre es seit Ewigkeiten nicht gebürstet worden, doch auch angenehm und warm.
„Morgen komme ich wieder und striegle Dich“, meinte ich leise. Zufrieden trabte er davon, während ich mich doch noch erfreute. Voller Tatendrang ging ich zurück, den gleichen Weg, doch es war mir egal. Ich würde ihn noch oft gehen, und hoffte, er würde mich wieder stupsen.

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