0406 Hast Du mich vermisst?


Hast Du mich vermisst?


Ich beobachte. Wie sich der Wind das Wasser kräuselt und kleine Wellenbewegungen auslöst. Wie ein Blatt langsam, im Winde schaukelnd, auf dem Wasser landet und wie ein kleines Schiffchen davongetragen wird. Darauf kann sich eine Biene niederlassen, die, müde vom Flug, neue Kräfte sammeln möchte. Wie die Sonne sacht hinter den Bäumen verschwindet. Wie die Natur sich anschickt sich zur Ruhe zu begeben. Es ist gerade die Zeit, zu der noch eine emsige Geschäftigkeit einzukehren scheint, bevor Ruhe einkehrt. Ruhe und Nacht.

Ich beobachte. Es sieht danach aus, als würde ich nichts tun. Vielleicht ist dem auch so, zumindest entsprechend der Interpretation von „Tun“ als etwas beginnen, verändern und abschließen, etwas, was am Schluss anders aussieht als davor. Insofern tue ich nichts, denn es ist keine Veränderung festzustellen, weder an mir noch an den Gegenständen meiner Beobachtung.

Ich beobachte. Ich tue scheinbar nichts, und doch tut sich etwas. Der Gegenstand meiner Beobachtung rückt in meinen Fokus, prägt sich ein, was immer auch mit ihm geschieht und es verändert etwas in mir. Stück für Stück setze ich meine Beobachtungen zusammen und es wird Welt daraus. Erfahrene Welt, nicht nur eine, die eben da ist, sondern in der ich meinen Platz gefunden habe. Ein Bleiben.

Ich beobachte nicht mehr, denn Du bist gekommen und forderst mich ein.
„Es ist gut, dass Du da bist“, sage ich kurz und denke doch, dass ich lächle.
„Ich war lange nicht mehr da“, entgegnest Du.
„Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, Du bist weggegangen und jetzt bist Du wieder da, und das ist gut“, erkläre ich, ohne mich mit der Überlegung abzumühen, wann Du gegangen bist. Es kann lange her sein oder auch nicht. Ob lange oder kurz. Es ändert nichts, weder am Kommen noch am Gehen.
„Es ist Dir also gar nicht aufgefallen, nicht wirklich“, merkst Du kopfschüttelnd an.
„Es ist mir aufgefallen, dass Du nicht da bist, aber warum sollte ich mir den Kopf darüber zerbrechen wie lange es war?“, frage ich irritiert.
„Weil es wichtig ist. Ich könnte ja viel zu tun gehabt haben. Oder es hätte doch sein können, dass ich nicht gekommen bin, weil ich nicht kommen wollte. Oder weil ich den Eindruck hatte, dass Du nicht wolltest, dass ich komme“, erklärst Du mir.
„Es hätte auch noch viel mehr sein können. Aber Fakt ist, dass Du jetzt gekommen und da bist. Und wenn Du einen Eindruck hast, dann kannst Du mich ja fragen ob es so ist“, sage ich ruhig.
„Du hast mich auch nicht gefragt“, erwiderst Du.
„Es gab nichts zu fragen, ich hatte keine Eindrücke, ich nahm zur Kenntnis. Du hattest Deine Gründe“, merke ich an.
„Aber hast Du mich denn gar nicht vermisst?“, stellst Du nun die Frage, auf die Du offenbar hinaus wolltest.
„Nein, denn ich habe Dich beobachtet, Dich verstanden und angenommen als Du da warst. Das blieb, ganz gleich wie lange Du weg bist, das Erleben mit Dir bleibt. Es gibt nichts zu vermissen, nur zu vermehren, wenn Du wiederkommst“, sage ich nachdenklich.
„Ich habe Dich vermisst, schmerzlich“, erklärst Du mir, „Mir genügt es nicht, das Gewesene, ich will das Jetzt.“
„Dann wärst Du gekommen, aber Du bist nicht“, meine ich ernsthaft.
„Weil ich es nicht zugeben wollte, weil ich wusste, dass Du mich nicht vermisst, und ich nicht wollte, dass Du denkst, ich wäre schwach“, entgegnest Du.
„Vermissen ist keine Schwäche, sondern ein Zu-Wenig an gelebter Beobachtung“, erkläre ich, „Aber warum wollen wir es nicht tun, einfach Jetzt.“

Ich beobachte. Dich. Und es tut etwas in mir, vielmehr als Welt, eine ganze eigene Welt, Du.

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