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Bildquelle: Stephanie Hofschlaeger/pixolio.de |
Am seidenen Faden
Eigentlich liebten sie sich. Eigentlich lieben sie sich.
Natürlich hat es viele Jahre gegeben, in denen sie es einfach getan haben, ohne
viel darüber nachzudenken. Nein, das ist jetzt falsch. Ganz am Anfang, da taten
sie kaum etwas anderes als sich darüber Gedanken zu machen, über einander, über
Dich und mich und über ihre Liebe. Durchforsteten ihr Gefühl füreinander immer
und immer wieder. Versicherten sich einander, weil diese Versicherung notwendig
war. Weil am Anfang, da fehlt die Sicherheit, wenn man sich noch nicht wirklich
so kennt, wenn noch die Einschätzung fehlt und der Weitblick. Am Anfang ist es
so. Viel Energie verwandten sie darauf dies zu tun, Füreinander und für die
Versicherung, doch sie hatten sie, damals, weiß Gott woher. Sie war einfach da
und gab ihnen die Möglichkeit. Doch die Zeit verging und vergeht nach wie vor,
wie die Zeit das eben so tut und sich durch nichts abschrecken lässt. Und mit
der Zeit hörten sie auf mit der Versicherung und es trat in den Hintergrund,
weil wieder andere Dinge forderten und die Energie nachließ, weniger wurde. Sie
wollten sich etwas aufbauen. Die Gedanken verloren ihre Fokussierung auf das
Miteinander und erreichten wieder die Umgebung. Mit der Zeit wurde das
Miteinander zur Selbstverständlichkeit. Es war einfach. Und sie bauten sich
etwas auf. Neue Menschen traten in ihr Leben und zwischen sie. Die Welt nahm
sie so sehr in Anspruch, dass sie kaum mehr aufeinander achteten. Es war auch
nicht notwendig, denn es war so, dass sie da waren, immer da waren. Da war
nicht einmal der Gedanke an die Möglichkeit, dass es anders sein konnte. Sie
behandelten sich auch nicht direkt schlecht, sondern einfach gar nicht mehr.
Dass sie sich liebten, das wussten sie, irgendwie wussten sie es, doch sie
sagten es nicht mehr und versicherten sich einander ebenso wenig. Sie meinten,
dass es so sein müsste und wandten sich dem zu, wovon sie meinten, dass es eben
jetzt wichtiger oder zumindest dringender war. Ihre Leben fanden nebeneinander
statt, aber nicht mehr miteinander. Eines Tages war es, dass sie sich verlassen
fühlte, und er keine Zeit für sie hatte, so dass sie sich vertröstet sah, doch
das Später, auf das sie vertröstet wurde, das kam nicht, so lange sie auch
wartete. Was sollte sie tun? Sie wählte den einfachsten Weg und fand sich ab,
so dass sie nichts mehr verlangte und nichts mehr gab. Es war einfach und nicht
mehr wert sich Gedanken zu machen, weil es auch keinen Nutzen hatte. Doch dann
war es an ihm. Sie schien ihm so weit weg zu sein. Er meinte, sie interessiere
sich nicht mehr für ihn, so dass er sie einforderte, die Aufmerksamkeit und das
Interesse. Sie waren sehr verschieden. Wo sie zu Akzeptanz neigte, setzte er
Bewegung. Sie nahm es hin. Er forderte. Sie konnte seine Forderungen nicht
erfüllen. Später vielleicht, irgendwann. Wir werden sehen. Und dann kam der
Tag, da jemand in den Fokus trat, wobei es nichts zur Sache tat ob in ihres
oder in seines. Betroffen waren doch beide. Der eine als derjenige, der einen
neuen Anfang erleben durfte, so wie er damals war, und der andere, der merkte,
dass es etwas war, was ihnen gehörte und nun mit einem anderen auch erlebbar
war. Und der Schmerz breitete sich aus und nahm sie ein, beide, den, der
gefunden hatte ebenso wie den, der verloren hatte. Und mit einem Mal wurden
ihnen ihre Versäumnisse bewusst, alles was sie aneinander verbrochen und auch
unterlassen hatten. Es war wohl der Punkt, an dem sie endlich begriffen, dass
sie vor einer Entscheidung standen, einer Entscheidung für- oder gegeneinander.
Eigentlich wussten sie, dass sie wollten. Sie hatten es die ganze Zeit gewusst,
doch erst jetzt begriffen sie, dass man Entscheidungen, die zwei Menschen
betreffen nicht nur im Herzen und in den Gedanken tragen durften, sondern auch
verbal ausdrucken mussten. Woher sollten sie es sonst wissen? Wohl, von sich
selbst schon, aber vom anderen? Es hätte auch ganz anders sein können. Es
spielte keine Rolle wer oder was sie darauf aufmerksam gemacht hatte,
letztlich, wichtig war nur, dass es geschah, dass sie sich ihrer Lethargie
bewusst wurden und wieder zueinander blickten, auch einmal wieder sagen
konnten, alles andere könne warten. Es hing am seidenen Faden. Sie hatten zu
entscheiden ob er riss oder hielt, sich gar wieder verfestigte und an Tragkraft
gewann. Sie sahen einander an wie schon lange nicht mehr.
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