Kalter Krieg in warmen Häusern
Unsere Häuser werden immer wärmer. Seit Jahrzehnten steigt
die durchschnittliche Raumtemperatur. Die meisten Menschen müssen im Winter
nicht mehr frieren. Bessere Isolierung, abgedichtete Fenster lassen die Wärme
wo sie sein soll, im Haus. Bessere Heizsysteme. Wir müssen nicht mehr
zusammenrücken, sondern uns im Raum aufteilen. Wir müssen nicht mehr an der
Kälte von außen leiden. Außerdem hat sich die Versorgungslage verbessert. Wir haben
mehr zu essen. Die meisten Menschen in unseren Breiten werden satt. Die
Arbeitszeiten haben sich verkürzt. Keine sechzehn Stunden Arbeitstage mehr,
sechs Tage die Woche. Stattdessen fünf Wochen Urlaub im Jahr. Es war eine
Errungenschaft, damals. Heute ist es selbstverständlich. Wir haben vergessen
wie es ist, hungern und frieren zu müssen, die meisten von uns, und die, die
darunter leiden, die wollen es nicht zeigen. Armut ist ein Makel. Irgendwie
muss man doch selbst schuld dran sein. Doch die meisten wissen es nicht mehr.
Es ist nicht erwähnenswert, außer, wenn es zu wenig ist, immer zu wenig. Wir
rücken voneinander ab, und obwohl es außen wärmer wird, wird es in uns kälter.
Es gibt keinen Kalten Krieg mehr West gegen Ost, Kapitalismus gegen Kommunismus,
Reich gegen Arm – ach nein, den gibt es noch, doch wir merken ihn nicht, denn
wir stehen auf der Gewinnerseite. Wir brüsten uns damit auf der Gewinnerseite
zu stehen. Als wäre es ein Geburtsrecht. Doch das Schicksal ist blind. So wie
wir nicht darum bitten können geboren zu werden, so können wir noch weniger
beeinflussen wo es passiert. Wir leben in Europa, in Westeuropa. Wir wurden
hier geboren, in der sog. Ersten Welt. Andere kamen in Ländern der Zweiten und
Dritten Welt zur Welt. Es ist Zufall. Nichts als Zufall, und doch tun wir so,
als wäre es unser Verdienst gewesen. Wir können nichts dafür, dass es uns gut
geht und Euch nicht. Wir haben viel. Wir müssen es verteidigen, gegen die, die
nun zu uns kommen und uns erzählen wollen, dass sie nichts dafür können. Sie
werden schon was dafür können. Niemals kommen wir auf die Idee, dass es auch
ganz anders hätte sein können, dass wir dort geboren werden hätten können, und
die anderen hier. Es ist aber nun mal so. Was können wir dafür? Nichts, wir
haben einfach Glück gehabt. Achselzuckend wird es festgestellt. Damit ist die
Sache erledigt. Ergeben hat man sich in sein Schicksal zu fügen. Wir tun es ja
auch. Andere müssen es ebenso tun. Und dennoch werden die Herzen immer kälter.
Misstrauen herrscht zwischen denen, die was zu verlieren haben. Horten und
horten, und immer noch zu wenig. Immer wird es zu wenig sein. Wir haben nichts
herzugeben, denn wir haben selbst nicht genug. Vielleicht für heute, und auch
noch für morgen. Aber wir wollen vorsorgen für uns und unsere Kinder und unsere
Enkelkinder. Der Lebensstandard ist gestiegen. Wir können nichts dafür. Wir
haben es schließlich auch nicht leicht. Man muss sich manches einfach leisten,
um nicht sozial geächtet zu werden. Da haben es die Menschen leichter, die arm
sind und unter Armen leben. Wenn jeder arm ist, dann fällt es nicht auf, aber hier,
unter Menschen, die etwas haben, fällt es auf. Deshalb können wir auch nichts
abgeben. Wenn wir was abgeben, dann haben wir nicht genug. Kein Smartphone.
Kein Zweitwagen. Kein Fernseher für jedes Familienmitglied. Wir werden
geächtet, diskreditiert, wenn wir uns das nicht leisten. Neues Gewand. Jede
Saison. Mit dem richtigen Logo. Zwei Mal im Jahr Urlaub. Schifahren. Maledieven.
Wenn wir was geben, dann geht sich das nicht mehr aus. Die Ressourcen werden
immer knapper. Sie reichen kaum für uns selbst. Bleibt wo ihr seid, denn wenn
ihr hierherkommt, dann lernt ihr eine Gesellschaft kennen, in der es keinen
sozialen Zusammenhalt mehr gibt. Keine Wärme. Keine Liebe. Dann lernt ihr das
Gesetz kennen, das den Reichen gibt und den Armen nimmt, das immer tiefere
Keile zwischen die Menschen schlägt, denn wir sich ans Haben klammert hat das
Sein längst verloren. Satt sind die meisten und müssen nicht frieren, aber
viele erfrieren aneinander.
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