0907 Der Tag, an dem ich Dich verlor


Quelle: Rotus / pixelio.de

Der Tag, an dem ich Dich verlor


„Ich muss mit Dir reden“, hatte er begonnen, damals. Wobei dieses Damals gerade mal drei Tage her war. Lange Zeit schon hatte er sich damit getragen ihr das zu sagen, eben das, was er ihr zu sagen hatte, und noch länger war dieses Unwohlsein in ihm gewesen. Zuerst nur marginal, bloß so wie ein kleines Zwicken, das sich ab und zu bemerkbar machte. Dazwischen war es wieder gut. Wie eine Krankheit, die sich durch kleine Vorzeichen ankündigte. Aber aus diesem Zwicken war ein Schmerz geworden, einer, der sich mit der Zeit nicht mehr ignorieren ließ. Es war der Schmerz dessen, der verliert. Dann war ihm allerdings noch nicht klar was er verloren hatte. Es war nicht seine Brieftasche. Nicht sein Autoschlüssel. Es war überhaupt nichts, was irgendwo lag, wo man einfach vergessen konnte wo dieses Wo war. Es war überhaupt kein Ding. Vielmehr war es ein Verlieren von etwas, das man sich auch nicht selbst beschaffen konnte. Eines Tages war es da gewesen. Nein, nicht einfach da. Es hatte sich aufgebaut, damals, als sie sich gefunden hatten. Nach und nach. Mit dem Kennenlernen, dem Einander-lernen. Da war es mit aufgeblüht. Immer weiter. Trieb Blätter und Blüten, und er erfreute sich daran. Doch wie viel davon war echt gewesen, und wie viel einfach Interpretation, Interpretation eines Wollens. Er hatte es sich gewünscht, dass es das geben könnte. Es ist schwer zu unterscheiden zwischen der Realität und der Vorstellung, wenn man sich etwas wünscht. Vielleicht war das Miteinander, ihr Miteinander viel mehr sein Wunsch als die Realität, doch jetzt hatte er es verloren. Nicht nur die Blüten waren vertrocknet, auch die Blätter und die Äste. Kahl und verdorrt war es in ihm. Es begann damit, dass ihre Gespräche zur Routine geworden waren. Alles Alltag. Nun, das war wohl so üblich, denn irgendwann läuft das Leben wieder in seiner Schiene und es gibt nichts Neues mehr. Jeder Tag kommt einem gleich vor. Dieselben Fragen. Dieselben Antworten. Waren sie nicht früher spritziger gewesen, engagierter? Waren sie es sich nicht mehr wert, die Mühe auf die Frage einzugehen, die Antwort zu verstehen. Da begannen auch die Lügen, wenn man sagte, es ginge gut, aber es war nicht so. Es ist das Zeichen dafür, dass man sich einander nicht öffnen will. Nicht mehr. Du bist es mir nicht mehr wert. Vage erinnerte er sich daran, dass es einmal anders war. Auch daran, dass sie miteinander gelacht hatten. Jetzt blieb ihm das Lachen im Hals stecken. Es gab nichts mehr zu lachen, und wenn, dann verhalten. Es machte Mühe zu erklären. Auch das Lachen. Und doch schmerzte es, dass Verlieren. So wie sie es nicht geahnt hatten, dass sie zusammen fänden, so hatten sie es auch nicht geahnt, dass es auseinanderging, so schnell. Sie hatten das eine nicht gewollt, und das andere nicht gesucht. Es passierte – und es lässt sich nicht ändern. Warum also an etwas festhalten, was nicht mehr wächst und nur mehr schmerzt?

„Ich muss mit Dir reden“, hatte er begonnen, damals, Wobei dieses Damals gerade mal drei Tage her war, „Ich habe Dich verloren und finde Dich nicht wieder.“ Es kam stockend. Er wollte ihr nicht weh tun, aber er wusste auch nicht wie es ihr ging, denn sie hatten nicht darüber gesprochen, noch nicht. Sie nickte bloß und wartete, dass er weiter sprach, nur die Knöchel an ihren Fingern waren weiß geworden, so sehr verkrampften sie sich um den Griff der Tasse. „Wir haben einander verloren. Ich weiß nicht wann und wo, nur dass es so ist. Es schmerzt. Aber etwas Totes kann man nicht mehr zum Leben erwecken.“ Wiederum nickte sie nur, doch er wusste nicht ob er ihr zustimmte oder ob es nur ein kleines Zeichen dafür war, dass sie seine Worte verstanden hatte. Sachte stellte er seine Tasse ab und ging. Sie sagte immer noch kein einziges Wort, nur das Klirren der Tasse hörte er, als er die Türe hinter sich schloss.

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