Es ändert nicht viel
Der Morgen wirkt wie jeder Morgen. Dass mir das Aufstehen
nicht leicht fällt, das war schon immer so, daran habe ich mich gewöhnt und
nehme es hin, wie den Nieselregen, der gegen die Fensterscheibe klopft. Fast
zart, doch es ist die Zeit, da ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin,
als dass mir irgendetwas auffiele. Ganz banale Sachen. Füße auf den Boden
stellen. Ins Bad gehen. Kaffeemaschine einschalten. Auf dem Weg habe ich schon
wieder vergessen was ich eigentlich wollte. Da stehe ich also in der Küche und
überlege was das hier alles sein soll. Das Gerät und das Gerät, und das Kasterl
und das Kasterl. Langsam kommt die Erinnerung zurück. Ich reiße mich zusammen.
Jeden Morgen. Immer ein wenig mehr zerrissen. Vielleicht dauert es deshalb auch
jeden Morgen ein wenig länger bis wieder
alles richtig zusammengerissen ist. Aber irgendwie scheint es an diesem Morgen
ganz besonders aufwendig zu sein. Warum nur? Ich muss mich konzentrieren. Am
besten auf das Naheliegende. Auf den Knopf drücken. Prustend beginnt die
Kaffeemaschine ihre Tätigkeit. Selbst dieses hirnlose Gerät weiß was es zu tun
hat. Ich bin die Einzige auf der Welt, die verloren inmitten einer Küche ist.
Die Dinge haben nichts mit mir zu tun. Sie sind da. Ich habe nichts mit der
Welt zu tun. Ich bin da. Hineingeworfen. Ich blicke automatisch hinunter zu
meinen Füßen. Sie stehen noch. Ein gezielter Wurf. Gut, am Anfang ging das noch
nicht. Das ergab sich dann. Die Geworfenheit zeigt sich an der liegenden
Position, die am Anfang des Daseins in dieser Welt steht. Verdammt, warum
mischt sich jetzt Heidegger in meine Gedanken. Den kann ich jetzt so gar nicht
da brauchen, denn die Philosophie macht erst Sinn, wenn der Rest funktioniert.
Erst kommt das Fressen, und dann die Moral. In meinem Fall doch eher der
Kaffee. Auch Brecht nervt. In der Früh. Automatisch nehme ich zwei Häferl aus
dem Kasten, weil mir wieder einfiel, wo ich sie verstaut hatte. Das waren sie
wohl gestern auch schon. Zwei Häferl. Was wollte ich mit denen? Ich sehe sie
an. Auf dem einen steht: „Achtung! Morgenmuffel bei der Arbeit“, und auf dem
anderen: „Nicht therapierbar.“ Zutreffend wäre wohl beides. Ich entscheide mich
für Zweiteres, und stelle es unter die Düse. Noch einmal einen Druck auf den
Knopf. Dann rinnt der Kaffee. Die Welt ändert sich nicht über Nacht. Meistens
nicht. Alles steht an seinem Platz. Auch wenn man dazwischen Stunden in einer
anderen Welt weilt, schlafend, fast wie tot. Ich fühle mich immer noch so.
Beinahe. Halbschlafend. Ein wenig halb wie tot. Wie trinke ich meinen Kaffee?
Ich krame Zucker und Milch hervor. Der Löffel ist schon bereit, als mir gerade
rechtzeitig noch einfällt, dass ich ihn schwarz trinke, den Kaffee, ohne Milch
und ohne Zucker. Also stelle ich den Kaffee, der für mich bestimmt ist, erstmal
zur Seite und dann kommt das zweite Häferl dran. Das funktioniert schon besser.
Bei Dir kenne ich mich besser aus. Du nimmst einen Löffel Zucker und viel
Milch. Das ist einfach. Das merke ich mir sogar so gut, dass es mir am Morgen
einfällt. Ich sehe zu, wie der Kaffee in Dein Häferl rinnt. Verdammt, gerade
jetzt geht das Wasser aus. Ich nehme das Häferl weg, spüle es, fülle Wasser
nach und stelle es nochmals darunter. Für mich hätte ich das nicht getan, denke
ich und spüre, dass das auch noch mit dem Lächeln geht. Für Dich mache ich so
manches, was ich für mich nicht machen würde. Vielleicht merkst Du es nicht.
Meist merke ich es nicht einmal selbst, aber es ist schon so, dass ich Dich
achtsamer behandle als mich. Es macht mir vielleicht auch einfach mehr Freude
für Dich achtsam zu sein. Ich bleibe mir schließlich erhalten, für den Rest
meines Lebens. Ganz gleich wie ich mich selbst behandle. Der Kaffee ist im
Häferl. Ich gebe Zucker dazu und Milch. Dann nehme ich beide Häferl und stelle
sie auf den Tisch. Dann sehe ich auf die Uhr. Du müsstest eigentlich schon da
sein. So wie jeden Morgen. Du wirst nicht mehr kommen, streicht es leise durch
meinen Kopf, doch ich ignoriere es, weil das Leise leicht zu ignorieren ist. Doch
es wird lauter, immer lauter, dröhnt in mir, durchschneidet mich wie ein
Presslufthammer. Du kommst nicht mehr. Du kommst nicht mehr. Du kommst nicht
mehr. Und ich weiß nicht mehr wie es sich leben lässt, so, wenn Du nicht mehr
kommst. Es kann kein Leben sein. Einfach nur mit mir. Vielleicht nur mehr ein
Kaffeehäferl. Vielleicht nur mehr ich.
Kein Wort. Einfach so. Ich musste es akzeptieren. Irgendwann ist auch die
Hoffnung verloren. Vielleicht hätte ich doch achtsamer zu mir selbst sein
sollen.
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