Was hat das Geld aus Dir gemacht?
„Seit zehn Jahren haben wir uns nicht gesehen“, erklärte er
ihr. Das war das erste was er sagte, nachdem sie Hallo gesagt hatte.
Stirnrunzelnd. Vielleicht war er sich nicht ganz sicher ob sie es wirklich war.
„Seit zwölf Jahren um genau zu sein“, berichtigte sie
nüchtern. Sie wusste, mit Gefühlsduselei kam sie bei ihm nicht weit. Da zählten
nur harte Fakten.
„Wenn Du meinst“, gab er widerstrebend zu, „Aber was willst
Du jetzt hier? Warum kommst Du nach so langer Zeit einfach so vorbei?“
„Ich habe eine Tochter. Sie ist mittlerweile 10 Jahre alt
und braucht eine Operation“, beginnt sie zu erklären, ohne Umschweife. Immer
nur das Notwendigste. Das wusste sie noch von früher, als sie mit ihrem Vater
unter einem Dach lebte. Wenn gesprochen wurde, dann nur das Notwendigste. Keine
Gefühlsduselei. Immer nur Fakten. Alles andere bringt einen nicht weiter. Sie
hatte sich daran gehalten, immer. Nur zu sagen, „Es geht mir nicht gut“, galt
nicht, wenn man nicht wirklich einen guten Grund hatte.
„Kurz gesagt, Du brauchst Geld“, fiel er ihr ins Wort. So
wie er es gewohnt war. Er behandelte alle gleich. Das war sein Grundsatz.
„Diese Operation ...“, begann sie, besann sich aber eines
Besseren und sagte schlicht, „Ja.“
„Ist es eine gute Investition?“, fragte er, als würde es um
den Ankauf einer neuen Fabrik gehen.
„Wenn sie überlebt, dann kann sie Leistung bringen für den
Rest ihres Lebens, kann etwas Aufbauen ...“, begann sie zögernd, worauf er ihr
wieder ins Wort fiel.
„Und viel verdienen und mir diese Investition
zurückerstatten, womöglich mit Zinsen. Das heißt wir sollten zunächst einen
Darlehensvertrag aufsetzen“, erklärte er, während er schon den Telephonhörer in
die Hand nahm um die Sekretärin zu rufen, besann sich aber nochmals, „Du
sagtest, ‚wenn sie überlebt’. Wie hoch stehen die Chancen, dass mein
Investitionsobjekt heil bleibt und diese Leistung auch erbringen kann?“
„Die Chancen stehen 50:50“, erklärte sie, und spürte es wie
es ihr einen Stich versetzte wie er über ihre Tochter, seine Enkeltochter
sprach, wie er sie bezeichnete, als Investitionsobjekt. Hätte sie ihm
vielleicht doch das Bild zeigen sollen? Das Bild eines fröhlichen,
dunkelhaarigen Mädchens, mit den großen, frechen Augen, das noch vor wenigen
Wochen lustig und fidel im Garten mit ihren Freundinnen gespielt hatte. Damals,
als sie noch eine Zukunft hatte, doch sie ließ die Photographie in der Tasche.
Es hätte ihn nicht erweicht.
„Also 50%. Was ist wenn es schief geht?“, fragte er weiter.
„Dann komme ich dafür auf“, erklärte sie, offenbar
überzeugend genug.
„Gut, dann werden wir den Vertrag aufsetzen“, meinte er,
selbstzufrieden wie immer.
„Sag, was machst Du eigentlich mit Deinem ganzen Geld?“,
fragte sie nun doch.
„Investieren, auf dass es sich vermehre und nicht für
irgendwelchen Unsinn hinausgeschmissen wird“, erklärte er ihr.
„Und was ist nach Deinem Tod?“, fragte sie unbeirrt weiter.
„Dann bleibt alles in einer Stiftung, auf die niemand
Zugriff hat“, meinte er achselzuckend.
„Wozu verdienst Du das Geld dann?“, wollte sie noch wissen.
„Weil es meine Verpflichtung ist, es zu vermehren. Einfach,
dass es immer mehr wird. Das ist der ganze Zweck“, stellte er fest.
„Es ist gut, dass Du einen Lebenszweck hast“, sagte sie noch
nachdenklich, „Hoffentlich reicht es.“
Er hob noch nicht einmal den Kopf, als sie das Büro mit dem
Darlehensvertrag in der Hand verließ. Wozu auch.
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