Eine Verwechslung? (Teil 1)
Nyx sitzt auf ihrem Steg am See direkt vor der Burg, in die
sie sich vor langer Zeit zurückgezogen hat und denkt nach. Ihr langes schwarzes
Haar flattert sanft im Wind. Die Luft ist lau und anschmiegsam. Doch sie
bemerkt es nicht, denn sie ist in diesen Gedanken versunken, in etwas, das sie
nicht versteht. Sie sucht und sucht nach etwas, was sie vergessen hat oder
einen Fehler, den sie gemacht hat. Denn sie gehört zu den Menschen, die
prinzipiell davon ausgehen, dass sie den Fehler begangen haben, und nicht die
anderen, irgendwer. Und wenn es doch der andere war, so haben sie ihn einfach
nur nicht davon abgehalten. Dabei hatte alles so wunderbar begonnen. Nyx hatte
nichts weiter gemacht als eine Geschichte erzählt, eine Geschichte rund um
Sehnsucht und Liebe. Postwendend war ein Kommentar gekommen. Darüber freute sie
sich, denn dieser Kommentar ging auf ihre Geschichte ein, spann sie fort und
endete mit den Worten:
„Du hast mir in die Seele geblickt und unsere Geschichte
erzählt.“
Ja, sie hatte eine Geschichte erzählt, die sie „unsere“
nennen konnte, doch das war eine zwischen ihr und einer Vertrauten, die sie
nicht namentlich erwähnte. Aber vielleicht meinte der Kommentator seine
Geschichte, die er „unsere“ nannte, seine eigene Geschichte, die er in ihrer
wiederfand. Das kam vor, denn Geschichten rund um Sehnsucht und Liebe sind sich
in so vielem ähnlich. Genau das musste es sein. Nyx entschied sich für diese
Interpretationsmöglichkeit und antwortete entsprechend, denn sie kannte ihn
nicht.
„Das freut mich sehr, dass Du Dich darin wiederfindest.“
Nyx war es sich zufrieden, denn sie war überzeugt davon, sie
hatte es richtig verstanden, doch diese Selbstzufriedenheit über das Verstehen
hielt nicht lange an, eigentlich nur bis zum nächsten Kommentar.
„Natürlich finde ich mich darin wieder, Du Dummerchen, denn
es ist ja unsere Geschichte, Deine und meine. Du kannst Dich hinter welchem
Pseudonym auch immer verstecken, ich werde Dich immer erkennen, denn Dein
Erzählen ist einzigartig.“
Nyx war schockiert. Was war nur passiert? Was hatte sie
getan? Nein, das konnte nur eine Verwechslung sein, doch er klang so
überzeugend. Vielleicht stimmte es ja, dass es dort draußen jemanden gab, die
ihr ähnlich war, aber so sehr. Dennoch
versuchte sie es nochmals, wollte sie doch keine falschen Hoffnungen wecken.
„Ich bin nicht die, für die Du mich hältst. Es tut mir
leid.“
Damit müsste das Missverständnis doch endlich aus der Welt
sein, dachte sie zumindest, doch er setzte noch einen drauf.
„Das Herz irrt nicht. Es ist mir schon klar warum Du Dich
versteckst, denn Du fürchtest unsere Feinde, die uns verfolgen von Anbeginn an,
und Du fürchtest sie, weil Du um mich bangst. Doch Du musst keine Sorge haben.
Ich habe sie alle besiegt, und ich kann mich nun unbehelligt auf den Weg zu Dir
machen. Zuerst dachte ich, Du liebtest mich nicht mehr, bis mir klar wurde,
dass Du all diese Vorsichtsmaßnahmen nur um meinetwillen vornimmst, doch es ist
alles geregelt, denn ich habe viel mächtigere Freunde als ich Feinde habe. Also
sorge Dich nicht, und komm zu dem Ort, an dem wir uns zum ersten Mal trafen,
dort am Wasser in unserer Stadt, die wir nun zurückgewonnen haben. Du, meine
Liebste, alles hast Du nur für mich getan. Jetzt werde ich für Dich da sein.“
Und nun sitzt sie am Steg und weiß nicht weiter. Es ist ihr,
als wäre sie in eine fremde Welt, in ein fremdes Miteinander eingebrochen, oder
besser gesagt, eingebrochen worden, und nun findet sie keinen Weg heraus. Warum
ist es so schwer verstanden zu werden? Doch dann schreibt sie das einzige, was
sie noch schreiben kann:
„Ich bin nicht sie. Ich wünschte, Du würdest sie finden,
aber ich bin es nicht.“
Damit würde nun endlich alles klar sein, alles
Missverständnisse endgültig beseitigt, denkt Nyx, als sie aufsteht um ins Bett
zu gehen.
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