Nimm mich wie ich werde
„Ich gehe zum Lernkreis“, sage ich kurz, während ich meine
Tasche nochmals durchstöbere um zu sehen, ob ich eh alles mithabe was ich
brauche.
„Wohin gehst Du?“, fragst Du, als Du Dich nun doch
entschließt den Blick vom Fernseher abzuwenden, „Und was ist mit Abendessen.
Und überhaupt, jetzt bin ich gerade eben nach Hause gekommen und Du gehst schon
wieder.“
„Ja, aber Du schaust eh fern, und während Du das machst,
mache ich normalerweise was anderes. Es müsste eigentlich egal sein“, merke ich
kopfschüttelnd an.
„Nein, ist es nicht, denn dann weiß ich, dass Du da bist,
und das ist gut. Das genügt mir“, erklärst Du, während Du die Arme vor der
Brust verschränkst. Wie ein kleines, bockiges Kind schießt es mir durch den
Kopf.
„Ich bin ja in zwei Stunden wieder da, und dann essen wir
eben mal ein wenig später“, sage ich dennoch ernst, so weit es mir möglich ist.
„Aber ich habe Hunger, und vor allem, was soll das jetzt
werden, mit dem dauernd irgendwo helfen. Früher hast Du Dich auch nur um mich
gekümmert und es war Dir genug!“, und jetzt liegt er offen zu Tage der Trotz,
doch es nutzt nichts, ich möchte doch, dass Du mich verstehst.
„Ja, früher, vielleicht war es mir genug, oder ich wusste es
einfach noch nicht, dass es viel zu tun gibt und man viel bewirken kann, auch
mit kleinen Einsätzen“, sage ich beschwichtigend.
„Aber ich kenne Dich kaum wieder mit dem ständigen sozialen
Engagement. Ich habe Dich so genommen wie Du bist, doch nun bist Du nicht mehr
wie Du bist“, meinst Du traurig, „Ich kenne Dich kaum wieder.
„Das stimmt, Du hast mich so genommen wie ich bin, mit allen
Macken und Fehlern, aber Menschen entwickeln sich weiter, und wenn man jemanden
liebt, dann respektiert man das. Ich entwickle mich weiter und finde näher zum
Sinn, den mein Leben haben könnte. Du entwickelst Dich weiter. Alle“, versuche
ich zu beschwichtigen.
„Nein, ich nicht. Es ist auch nicht notwendig, nicht
sinnvoll. Menschen ändern sich nicht. Sie bleiben wie sie sind. Und das ist
auch gut so. Man kann sich ja auf gar nichts mehr verlassen“, erklärst Du, und
es kommt mir vor, als würde gerade ein Teil Deiner Welt zusammenbrechen.
„Auch Du, denn die Aufgaben ändern sich, und damit der
Mensch. Er wächst daran“, versuche ich zu erklären.
„Bei mir passt alles. Ich habe alles. Gehe arbeiten.
Irgendwann in Pension. Alles ist gut. Ich brauche keine Veränderung“, sagst Du
schlicht, „Aber Du, Du bist nie mit etwas zufrieden, meinst immer die Welt
verändern zu wollen. Früher hat es auch genügt, das Haus und der Urlaub. Wir.“
„Ich bin zufrieden, sehr sogar, vor allem, dass ich die
Möglichkeit habe jetzt anderen zu helfen, die nicht diese Möglichkeiten haben“,
entgegne ich kurz.
„Also Dich um mich zu kümmern ist Dir also zu wenig
Aufgabe?“, fragst Du herausfordernd.
„Du sagtest doch gerade, Du hättest alles was Du willst. Was
bitte soll ich mich da kümmern?“, frage ich nun meinerseits.
„Ich will Dich halt einfach nehmen können wie Du bist. Denn
das ist der größte Liebesbeweis!“, fasst Du die Sprücherlweisheit zusammen.
„Der größte Liebesbeweis ist jemand so zu nehmen wie er ist,
an jedem Tag neu. Es ist die Zusage jemanden zu begleiten auf dem Weg zu
werden, seine Potentiale und Möglichkeiten und Talente zu entwickeln, und auf
jedem Punkt dieses Weges zu nehmen wie er an diesem Punkt gerade ist, und nicht
einen Moment einzufrieren. Das würde bedeuten den Menschen der Lebendigkeit zu
entreißen und auf einen bestimmten Status Quo festzunageln“, präzisiere ich.
„Aber ich will Dich so wie Du bist und liebe Dich so wie Du
bist!“, bleibst Du beharrlich.
„Du willst mich so wie ich war und liebst mich so wie ich
war“, halte ich entgegen, „Eigentlich schade.“
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