Leben um des Lebens willen
Ganz klein war sie noch, doch sie wollte nicht alleine sein,
wollte mit mit den Großen, auch wenn sie ihre kurzen Beinchen noch nicht so
schnell vorwärtstrugen. Es spielte keine Rolle. Sie gab ihr Bestes. Nur nicht
alleine sein. So hoppelte sie hinter den anderen her. Ganz gleich wohin. Auch
auf die Straße, wenn es sein musste.
Da war niemand, der sich um sie kümmerte. Das ist vielleicht
zu viel gesagt. Dieses Hunderudel hatte wohl ein zu Hause, einen Garten und
jemand, der sie fütterte, aber ansonsten waren sie gänzlich sich selbst überlassen.
Sie waren einfach da, so wie die Blumen in der Wiese, und sollten sie einmal
nicht mehr da sein, so wäre es wohl genau so gut. Ab und an wurde eine Hündin
trächtig, gebar Junge und die waren dann eben auch da. Wieder ein paar Hunde
mehr zum Durchfüttern. Achselzuckend wurde es zur Kenntnis genommen. Beim
letzten Wurf waren es vier Welpen gewesen. Sie war die kleinste, Eigentlich
hätte sie es gebraucht, dass sie sich irgendwo anschmiegen konnte. Ab und zu
ließ es einer der anderen Hunde zu, doch zumeist wurde sie weggebissen.
Schließlich musste sie sich gewöhnen. Und so lief sie hinterher. Immer suchte
sie den Anschluss nicht zu verlieren.
An diesem warmen Frühlingstag hatten sie sich auf die Straße
gelegt. Der Asphalt war warm und angenehm. Träge lagen sie da, doch immer
aufmerksam, bereit bei Gefahr aufzuspringen und davon zu laufen. Sie lag mitten
unter ihnen, als sich das Brummen vernehmen ließ und ein Motorrad heranbrauste.
Sofort sprangen die Großen auf und waren mit einem Satz davon. Auch sie folgte
ihrem Beispiel, doch ihre kurzen Beinchen wollten nicht wie sie. Es wäre nur
noch ein einziger Sprung gewesen. Vielleicht hatte sie in der Panik auch
einfach die falsche Richtung gewählt, denn da spürte sie auch schon einen
stechenden Schmerz in der Seite, als das Vorderrad sie erfasste und zur Seite
schleuderte. Wie betäubt blieb sie liegen, während das Motorrad davonstob und
sie einfach liegen ließ. So wie ihre Artgenossen. Der Schmerz zog sich nun
durch ihren ganzen Körper. Verzweifelt versuchte sie sich auf die Seite zu
schieben, weg von der Straße, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst.
Kläglich winselte sie. So laut sie konnte. Menschen gingen vorüber. Plauderten.
Lachten. Blickten ernst drein. Sie winselte. Irgendjemand würde sie hören. Sie
hörten sie, doch ließen sie sich nicht beirren. Auch sie nicht, weinte so laut
sie konnte.
Keinen Moment lang während der nächsten Stunden, die sie da
schwer verletzt auf der Straße lag, keinen einzigen Moment fragte sie nach dem
Sinn oder Unsinn ihres Lebens, nach Wert oder Unwert, Notwendigkeit oder
Unnotwendigkeit, denn sie wollte nur eines. Leben. Sie fragte nicht, weil es
nichts zu fragen gab. Mit aller Kraft, ohne darüber nachzudenken, kämpfte sie
um ihr Leben, das gerade erst begonnen, schon zur Neige zu gehen schien.
Entgegen all die Ignoranz und die Gleichgültigkeit, die sie umgab, kämpfte sie,
und sie würde erst aufhören, wenn sie keine Kraft mehr hätte. Bis zum letzten
Atemzug, um ein Leben, das vielleicht nicht hätte sein dürfen, und doch war.
Sie wollte leben, weil es sich eben einmal so gefügt war, dass sie hier war und
eben dieses Leben hatte. Das verteidigte sie. So wie sie es verstand.
Stunden vergingen, und sie spürte wohl, dass ihre Kräfte
schwanden, aber sie ließ sich davon nicht beirren, sondern winselte weiter bis
sie menschliche Stimmen vernahmen, die näher kamen, aber sich nicht wieder
entfernten, wie all die anderen. Erst da, als sie sich aufgehoben fühlte, erst
da schloss sie die Augen und hörte auf zu winseln, denn ihr Leben lag nun in
diesen Händen und sie vertraute sich an. Bedingungslos. Sie wusste nicht was
sie mit ihr vorhatten, aber sie überantwortete sich fraglos. Denn das Leben
fragt nicht. Es ist einfach.
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