Wie viel Leben verträgt die Liebe?
Weißt Du noch, ganz am Anfang, dieser Anfang von uns beiden,
dieser Anfang von Dir und mir, wo alles neu und aufregend war. Dieser Anfang,
da jeder Sonnenaufgang nochmals besonderer war als jeder, den wir zuvor erlebt
hatten, und jede Blume noch intensiver duftete und leuchtender strahlte, als
jemals in unserem Leben. Dieser Anfang, da der Blick verklärt ist und die ganze
Welt neu ersteht, in Deinem und meinem Blick. Dieser Anfang, der wie eine
zweite Geburt anmutet. Ein neues Leben, mitten im bekannten. Ein neuer Anfang.
Ein neues Leben. Ein neuer Himmel und eine neue Erde. Dieser Anfang, da wir
immer Zeit fanden, zu reden und auch zu schweigen. Dieser Anfang, da uns keine
Mühe zu schwer war einander doch noch zu sehen oder zu plaudern. Dieser Anfang,
da diese Mühe leicht war. Dieser Anfang, da wir uns frei und unbeschwert
fühlten, frei in unserer Zuwendung und in unserem Miteinander. Dieser Anfang,
von dem wir meinten, dass es niemals enden würde. Bis an die Grenzen der
Unendlichkeit und noch viel weiter. Dieser Anfang. Erinnerst Du Dich noch?
Mittlerweile sind viele Jahre ins Land gezogen und dieser
Anfang, an den ich immer noch denke, mittlerweile mit ein wenig Wehmut, tritt
in immer weitere Ferne. Viele Verpflichtungen bestimmen unser Leben, solche,
die uns auferlegt wurden und solche, die wir uns auferlegten. Arbeit um den
Lebensunterhalt zu bestreiten. Freizeitvergnügen, bei denen wir auch schon
zumeist getrennte Wege gehen. Da waren natürlich auch die Kinder. Doch die sind
inzwischen schon groß. Es ist keine Ausrede mehr. Und da ist die Müdigkeit.
Vielleicht auch die Gewissheit, dass es einen neuen Tag geben wird, und dass
das nicht unbedingt heute sein muss. Es lässt sich verschieben. Morgen werden
wir auch noch da sein. Heute bin ich müde. Aber morgen. Vielleicht.
Es ist nichts passiert, nur, dass uns das ganz normale Leben
erreichte und wir uns erreichen ließen. Vielleicht wäre es nur notwendig ein
wenig mehr Energie aufzuwenden, Mühen auf uns zu nehmen, die jetzt so unendlich
schwer zu sein scheinen. Wohin ist die Leichtigkeit verschwunden? An welcher
Stelle haben wir unsere Kräfte verloren, so dass wir nur mehr das Notwendigste
tun? An welcher Stelle haben wir uns aus den Augen verloren?
Dabei wäre es gar nicht so schwer. Ein paar Minuten nur,
draußen zu sitzen auf der Terrasse und davon zu erzählen, was der Tag so mit
sich brachte oder vor dem Kamin. Ein paar Minuten den Fernseher abzudrehen. Für
eine kurze Zeit das Buch auf die Seite zu legen. Doch es passt nicht.
Vielleicht morgen.
Die Blumen blühen so wie immer, Sonnenaufgänge folgen auf
Sonnenuntergänge, ohne dass wir darauf achteten. Die Welt ist wieder wie sie
immer war. Vielleicht noch ein wenig dumpfer und düsterer als zuvor, vor dem
Erleben des Aufblühens. Aber ich kann mich auch täuschen, denn es ist lange
her.
Aber vielleicht sollte ich Dich einfach einmal wieder an der
Hand nehmen und herausholen aus diesem Leben, das unsere Liebe zu begraben und
zu ersticken droht, hinaus an einen Ort, nicht allzu weit, und doch ganz
anders, nur um zu sehen, ob es möglich ist die Welt noch einmal so zu sehen wie
zu jenem Anfang damals.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen