Ein durchaus moralisches Angebot
Maria tat nun mit aller Selbstverständlichkeit das, was sie
sonst nie getan hätte. Sie stand sprichwörtlich mit den Hühnern auf, oder
besser gesagt, mit dem Weckruf eines Hahnes. Wenn sie dann die Augen öffnete
und sah, erkannte wo sie sich befand, freute sie sich auf den kommenden Tag,
der sich nicht viel vom vorigen unterschied, und von dem sie dennoch mit Fug
und Recht behaupten konnte, dass er einzigartig war, dieser eine, einzige,
dieser Tag. Nun hatte sie die Welpen versorgt und das Haus in Ordnung gebracht,
und machte sich auf Uwe in den Stall zu folgen, der bereits vorausgegangen war,
als ein Traktor in die Einfahrt einbog, ein Auto im Schlepptau. Es war ihr
Auto, und der Traktor wurde vom Luisl gelenkt, dem Sohn der Nachbarin. Maria
blieb stehen und beobachtete wie der feiste Bursche den Motor abstellte und
behäbig aus dem Traktor stieg.
„Grüß Gott“, sagte er an Maria gewandt, „Ich hab das Auto
gefunden und die Mutter hat gemeint, ich sollte es bringen.“
„Das ist sehr nett von Dir“, sagte Maria kurz.
„Und dann hat die Mutter gemeint, ich soll Dich noch was
fragen“, meinte Luisl, während der die Kappe zwischen den Händen drehte.
„Und was hat die Mutter gemeint was Du mich fragen sollst?“,
entgegnete Maria misstrauisch.
„Ob Du nicht einmal zum Essen kommen magst“, sagte er rasch,
„Weil wir ja jetzt Nachbarn sind und zwei Höfe nebeneinander, da kann man ja
miteinander was machen, wo Du doch jetzt hier bleibst.“
„Woher wollt ihr wissen, dass ich hier bleibe?“, fragte
Maria überrascht, dass die Menschen im Dorf offenbar mehr wussten als sie
selbst über sich selbst.
„Na ja, die Leute reden halt so, und weil Du ja schon so
lange da bist und Dich kümmerst und die Zirbenbäuerin nun auch schon alt ist“,
versuchte der Luisl zu erklären, dem die Situation sichtlich unangenehm zu sein
schien.
„Eigentlich wirklich nicht so weit hergeholt“, meinte Maria,
die die Schlussfolgerungen als durchaus nachvollziehbar bezeichnen musste.
Wahrscheinlich hatte der Herr Doktor auch einiges zu erzählen gewusst, und so
kommt eines zum anderen. Beim Weitererzählen wird dann noch ein wenig was
dazugetan, nachgewürzt sozusagen, so dass die Gerüchte immer schmackhafter
wurden.
„Also kann ich der Mutter sagen, dass Du kommst?“, fragte
der Luisl, der am liebsten so schnell wie möglich wieder gefahren wäre.
„Wegen der guten Nachbarschaft wärs?“, fragte Maria, die
beschlossen hatte ihn nicht so einfach davonkommen zu lassen.
„Na ja, schon auch, aber wenn zwei Höfe zusammenkommen, dann
ist es ja für alle Beteiligten praktischer, weil das Land besser bewirtschaftet
werden kann und die Tiere zusammengelegt werden können, und so halt“, versuchte
sich der Luisl herauszuwinden.
„Meint die Mutter?“, warf Maria ein.
„Ja, das meint sie“, antwortete der Luisl erleichtert, weil
er meinte, Maria hätte es jetzt endlich begriffen und er könnte wieder fahren.
„Wollts ihr uns den Hof abkaufen?“, fragte Maria
stattdessen.
„Wieso abkaufen?“, entgeistert und mit großen runden Augen
sah er Maria an.
„Na weil ich sonst nicht wüsste wie die zwei Höfe
zusammenkommen sollten“, erklärte sie gerade heraus, „Ich nehme ja nun nicht
an, dass wir euren Hof kaufen sollten. Oder doch?“
„Überhaupt soll niemand irgend etwas kaufen“, antwortete der
Luisl, der sich nun äußerst unwohl in seiner Haut fühlte.
„Aber was soll es denn sein?“, fragte Maria, so einfältig
wie möglich.
„Na ja, dass wir zwei, also, die Mutter hat das gemeint,
dass wir zwei eben, also Du und ich, hat sie gemeint, dass wir zusammenkommen
und dann kämen auch die Höfe zusammen, ja, und kommst jetzt zum Mittagessen?“,
meinte er, froh nochmals einen Durchschlupf gefunden zu haben.
Statt eine Antwort zu geben, wandte Maria den Kopf in
Richtung Stalltüre, die in dem Moment geöffnet wurde. Uwe kam heraus und
schritt gemächlich auf sie zu. Nachdem die Männer einander vorgestellt worden
waren, bedankte sich Uwe ebenfalls, dass der Luisl das Auto gebracht hatte,
auch wenn es nur deshalb war, weil die Mutter es angeschafft hatte.
„Was ist nun mit dem Mittagessen? Was soll ich der Mutter
sagen?“, blieb der Luisl beharrlich, weniger wohl, weil er es wollte, sondern
weil er sich ohne eine Antwort nicht nach Hause traute.
Maria dachte noch einen Moment nach, dann aber legte sie den
Arm um Uwes Hüfte und sagte: „Wenn mein Verlobter auch mitkommen darf?“
Die großen runden Kinderaugen, die Luisl sein eigen nannte,
schienen sich auf Untertellergröße zu weitern, bevor er sich wortlos umwandte
und zurück zum Traktor stampfte.
„Daran wird er wohl eine Weile zu knabbern haben“, sagte Uwe
lachend, während sie dem davonfahrenden Traktor hinterhersahen.
„Aber wahrscheinlich noch mehr seine Mutter“, meinte Maria
kopfschüttelnd.
„Und alle anderen Leute im Dorf“, ergänzte Uwe.
„Danke, dass Du nicht widersprochen hast“, sagte nun Maria
nachdenklich.
„Wieso sollte ich?“, meinte Uwe, der sie nun in die Arme
nahm, „Es war zwar nicht unbedingt ein formeller Antrag, den Du mir gemacht
hast, aber wer wird denn so kleinlich sein.“
„Du meinst, Du hast das ernst genommen?“, fragte Maria
überrascht.
„Warum nicht? Hast Du es denn nicht ernst gemeint?“,
entgegnete Uwe und sah sie ernst und durchdringend an.
Maria horchte in sich hinein. Natürlich hatte sie einfach
was gesucht, was ihr den Luisl und die in ihrer Abwesenheit so präsente Mutter
vom Hals schaffen konnte. Das mit der Verlobung war das erste gewesen, was ihr
eingefallen war. Bloß eine billige Ausrede, hatte sie zunächst gemeint, doch
war dem wirklich so? War es ihr wirklich nur deshalb als erstes in den Sinn
gekommen, weil sie eine Ausrede brauchte oder weil es das war, was ihr sowieso
durch den Kopf ging? War es denn so weit hergeholt sich aneinander zu binden,
wo sie sich anschickten sich an einen Ort zu binden?
„Ich denke, ich habe es ernst gemeint“, sagte Maria
ausweichend, „Aber was mich irritiert ist, dass es so ganz anders ist als ich
immer gemeint habe, dass es sein sollte. Ich meine, es geht alles so schnell
und so überraschend und plötzlich, und müsste es nicht so sein, dass man das
erst mal testet und schaut ob es passt oder so ...“
„Vielleicht sollte man das“, meinte Uwe abwägend, „Aber
vielleicht ist es auch das Richtige sich selbst und seiner Intuition zu
vertrauen. Wieso ist es eigentlich so schwer sich dem eigenen Fühlen und Denken
anzuvertrauen?“
„Wahrscheinlich, weil dabei Dinge zum Vorschein kommen, die
einen veranlassen würden es ganz anders zu machen als alle anderen, und wir
leben doch in dem Glauben, dass das richtig ist was alle anderen machen, denn
die Vielen können nicht irren“, versuchte sich Maria an einer Erklärung.
„Aber letztendlich geht es um Dein konkretes Leben, nicht um
irgendein anderes“, sagte Uwe.
„Mein Leben und meine Verantwortung“, sann Maria, „Und doch
würde ich viel lieber sagen, Dein und mein Leben, Deine und meine
Verantwortung.“
Gemeinsam gingen sie ins Haus, denn sie hatten eine
Entscheidung mitzuteilen. Magdalena lächelte sie nur an und nahm ihre Hände,
die eine von Maria und die andere von Uwe, sie ineinanderzulegen. Und das
Webschiffchen hüpfte noch eifriger als sonst, denn der Weg wurde breiter, so
dass sie bequem nebeneinander gehen konnten, und zwei Webschiffchen waren es
nun, die parallel und doch nicht gleichgeschaltet woben. Und es war der Abend
des siebzehnten Advents.
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