1005 Feuer

Feuer


Ganz klein beginnt es. Es beginnt immer ganz klein, mit einem Funken am Waldesrand. Stolz und erhaben ragen die Bäume in den Himmel. Jahrzehnte des Wachstums schenkten ihnen diese enorme Höhe. Sie rühren sich nicht, sind einfach da. Und dann kommt er, dieser kleine Funke, nistet sich ein zwischen welken Gräsern und Blättern, unbekümmert und leicht, teilt sich und steckt seine Umgebung an, wird zusehends größer und stärker, wächst fort, bis die ersten Flammen züngeln, übergreifen aufs Unterholz und hurtig weiterspringen, von einem Blatt zum nächsten, von einem Ast zum nächsten, arbeiten sich unablässig empor, bis zu den höchsten, strahlendsten Gipfeln. Selbst die müssen sich den Flammen beugen, die doch zu Anfang nichts weiter waren als ein kleiner Funken am Waldesrand.

Ganz klein beginnt es. Es beginnt immer ganz klein, mit einem Gedanken an der Peripherie meines Denkens. So viele große, starke Bilder leben in mir, Geschichten aus Gewesenem, Jetzigen und Kommenden, Geschichten, die ich geschenkt bekam und die ich leben durfte, die ich geschenkt bekomme und leben darf, und ganz an den Rand stellst Du das Bild von Dir. Unmerklich, mit jedem Blick darauf, ob nun gewollt oder ungewollt, wird es stärker und raumgreifender, bis es sich mit ein bezieht in all die Gedanken, Bilder und Geschichten, die in mir leben, bis es mich begleitet, wie ein guter Freund, auf den ich nicht mehr verzichten mag und den ich aus meinem Leben nicht mehr wegdenken kann. Unversehens nimmt es mich ein, und ich kann nichts dagegen tun, als mich dem Gedanken zu beugen, der doch zu Anfang nichts weiter war als eine kleine Beifügung an der Peripherie meines Denkens.

Ganz klein beginnt es. Es beginnt immer ganz klein, mit einer unschuldigen, unbeabsichtigten Berührung. Kurz erschauere ich darunter, doch beides war so unbedeutend, dass ich nicht weiß ob Du es bemerktest, Deine Berührung und mein Erschauern, doch Du lässt sie mehr werden, schenkst mir Deine Berührungen, bis sie mich umfassen, ganz und gar, bis ich mich zu ihnen sehne und mich in Deine Hände gebe, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Immer mehr nimmt sie mich ein, entzündet das Wollen und das Auf-Dich-hin, eröffnet mich Dir hin, und dabei war es zu Anfang doch nichts weiter, als eine kleine, harmlose Berührung.

Ganz klein beginnt es. Es beginnt immer ganz klein, mit einem kleinen Funken, der auf mich überspringt. Stolz und erhaben stehe ich Dir gegenüber. Lange Zeit des Werdens und des Bestehens lassen mich vorsichtig werden. Doch Du schickst diesen Funken in mein Auge und er glüht auf, schickst ihn in mich, und er beginnt mein Blut zu erfassen, wächst fort, wird durch mich gepumpt, bis jeder Teil meines Körpers damit infisziert ist und lichterloh brennt, für Dich brennt. Ein Feuer entfacht in mir, das durch Dich nur immer mehr entzündet wird, das mich nicht auffrisst, sondern vorantreibt, zu Dir, immer enger, an Dich, immer tiefer, in Dich, mich in Hitze versetzt, die nicht verglüht und auch nicht gelöscht werden kann, nicht, wenn ich es nicht will, nicht, wenn Du Dich mir nicht nimmst. Und ich will mich hingeben, dem Feuer, das doch zu Anfang nichts weiter war als ein kleiner Funke, den Du auf mich überspringen ließt.

Keine Kommentare: