2209 „De Bam! De Bam!“
Eine wunderbare, kleine, einfache Geschichte, die mein
Professor für Philosophie dereinstens erzählte, und die ich offenbar nicht mehr
vergesse. Aber zumeist sind die einfachsten Geschichten, die nachhaltigsten,
wenn auch nicht unbedingt für jeden leicht zu verstehen. Denn echtes Verstehen
geht tiefer, als ein mentales Allvertrauen sich auszumalen vermag, tiefer, denn
es berührt uns in unserem innersten Wesen und zeigt uns die Schönheit in der
Simplizität dessen auf, was wir oft so schnoddrig Leben nennen. Vielleicht
sollten wir uns ausnahmsweise einmal über den Gebrauch von Worten Gedanken
machen, die wirklich einen sinnbestimmenden Unterschied in unserem Leben machen
– was für manch andere Wortgetüme, oder eher –ungetüme, schwerlich der Fall
ist. Aber zurück zu der Geschichte, die ich eigentlich erzählen wollte.
Diese Geschichte entführt uns in den Gang eines alten Zuges,
über den die einzelnen Abteile erreicht werden können. Gerne denke ich dabei an
diesen wunderbaren Zug aus der Verfilmung von Agatha Christies großartigem „Mord
im Orientexpress“. Wahrscheinlich war der Zug, in dem sich mein Professor
befand, nicht ganz so alt und ehrwürdig, aber Bilder sind bekanntlich frei, und
es tut dem Sinn der Geschichte keinen Abbruch. Er stand also am Gang, wohl um
sich ein wenig die Beine zu vertreten, nach vielen Stunden des Sitzens, zum
Überdenken des Gelesenen, des Gehörten, des Gelebten, zur Betrachtung der
Landschaft. In diesem Moment nähert sich ihm ein Mann, ein wenig wackelig auf
den Beinen. War dieser dem unruhigen Gang des Zuges geschuldet? Als er näher
kam, war es jedoch unverkennbar. Diese Unsicherheit war dem tiefen Blick ins
Glas geschuldet. Nachdem diese Gänge sehr eng sind, presste sich mein Professor
gegen die Hinterwand, um so viel Platz wie möglich freizugeben, dass der Mann
passieren könnte. Dieser schob sich, ebenfalls mit dem Rücken gegen die Wand an
der anderen Seite, vorbei, und gerade als sie auf gleicher Höhe waren, sich
also Aug in Aug gegenüberstanden, blieb er stehen. Meinem Professor schlug eine
intensive Alkoholfahne entgegen. Die Blicke trafen sich, und aus einem
unerfindlichen Grund, fühlte sich der Mann plötzlich bedürftig, bedürftig des
Sich-Mitteilens.
„De Bam! De Bam!“, sagte er, ein wenig lallend, doch
grundsätzlich verständlich, „Vastehst mi?“
„Ja, ich verstehe“, antwortete mein Professor ruhig.
Die Blicke trennten sich, und der Mann ging, ein wenig
zufriedener, aber deshalb nicht weniger schwankend, weiter.
Nichts weiter hatte er gesagt, als „Die Bäume! Die Bäume!“,
dialektal gefärbt zwar, aber das war es, was er sagte. Nichts weiter. Und er
wurde verstanden, so dass aus diesen einfachen Worten eine Verbindung entstand,
so unscheinbar auch immer, so verheißungsvoll.
Bäume vor dem Fenster, im Wald, in der Stadt. Wir gehen
vorüber. Sie sind da. Es ist so. Einfach da. Niemand macht sich darüber
Gedanken, so lange nicht ein Ast abbricht und einen Schaden anrichtet. Wie so
vieles andere, was uns selbstverständlich erscheint, tritt erst in unser Bewusstsein,
wenn es nicht mehr so einfach für sich da ist, sondern unser Leben in
irgendeiner Weise beeinflusst, meistens in einem negativen Sinn. Trotzdem war
da etwas, was tiefer zu verstehen war, als die Botschaft darüber, dass es Bäume
gibt.
Baum als Symbol all dessen, was Leben ausmacht.
Ungeschuldet, unvermutet wird es geschenkt. Es hat immer ein Woher, Alles was
ist, ist Existenz. Ex, aus einem Grund heraus, dem Grund des Seins, einem
festen Grund, durch den sich die Wurzeln schlängeln, fortwachsen und dem, das
im Werden ist, Halt schenkt. Sistere, zum Stehen gebracht, gehalten.
Ex-sistere, aus einem Haltenden in eine Freiheit des Werdens gestellt, denn mit
diesem Gehalten-sein wird Wachstum, das die Kraft aus diesem zieht. Der Baum,
als Symbol für unser Leben, für das Vertrauen in den festen Grund, der uns hält,
und uns die Freiheit schenkt fortzuwachsen, als wir selbst. Selbst-seiend.
Ex-sistenz als Grundprinzip unserer ontologischen Verfasstheit.
Baum als Symbol der Verbundenheit alles mit allem. Aus einer
Lebensgrundlage, der Erde erwachsend, selbst Lebensgrundlage werdend für den
Käfer, den Vogel. Abhängig von Regen und Sonne, so wie wir von Zugewandtheit
und Miteinander. In diesem Miteinander angenommen zu sein, als wir selbst.
Baum als Symbol für Stärke. Wer in seiner Kultur, in seinen
Werten fest verwurzelt ist, der braucht das Fremde nicht zu fürchten. Es wird
ihm nichts anhaben können, ihn nicht schmälern, nicht beschneiden, sondern im
Gegenteil, ihn bereichern. Er wird das Neuerfahrene einordnen in seine
bisherigen Erfahrungen und ihm einen Platz schenken können, weil er weit und
offen ist für die Ankunft des Anderen.
„Da Bam! De Bam!“ – wer offen ist für das Leben, für das
Miteinander, der versteht.
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