2006 Am Ende des Regenbogens

Am Ende des Regenbogens


Es hatte geregnet, den ganzen Tag über hatte es geregnet. Sanft klopften die Tropfen an meine Scheiben und spielten mir ein Wiegenlied. Es war ein windstiller Tag gewesen. Deshalb fielen die Tropfen sanft und behutsam. Manchmal klingen sie wie Peitschenknallen, und manchmal einfach wie eine warme Melodie, und gerade als die Sonne unterging hörte der Regen auf und ein wunderschöner Regenbogen erstand am Horizont.
„Kennst Du die Geschichte vom Topf mit Gold, der am Ende des Regenbogens zu finden ist?“, fragte ich, vertieft in den Anblick des bunten Bogens.
„Klar, wer kennt die nicht?“, antwortetest Du pragmatisch.

 
„Wie auch immer. Wir werden uns den Topf jetzt holen, habe ich gerade beschlossen“, entgegnete ich und nahm Dich an der Hand, Dich mit mir fortzuziehen, doch Du stemmtest Dich dagegen.
„So ein Unsinn! Du weißt doch genau, dass man das Ende des Regenbogens nicht erreichen kann“, sagtest Du kopfschüttelnd.
„Wer sagt das? Hast Du es schon probiert?“, blieb ich beharrlich.
„Das brauche ich nicht zu probieren. Ich weiß es, weil das nur eine Spiegelung ist“, meintest Du, „Und außerdem hätte ich noch viel zu tun.“
„Klar, dann sitzt Du wieder über Deiner Arbeit und ich kann sehen wo ich bleiben kann. Aber heute lasse ich mich nicht so einfach abspeisen, Du kommst mit. Die Arbeit ist keine Spiegelung. Oder vielleicht doch? Vielleicht ist sie weg, wenn wir wieder da sind“, erklärte ich, so ernst es mir irgend möglich war.
„Also schön“, gabst du seufzend nach, „Dann gehen wir halt. Du gibst ja doch vorher keine Ruhe.“
„Ganz bestimmt nicht“, sagte ich lachend und nahm Dich bei der Hand. Diesmal stemmtest Du Dich nicht dagegen. Wir gingen los, rund um den See, immer in Richtung Regenbogen. Die Luft war klar und mild. Ganz bewusst sog ich sie ein, schnupperte in den Abend, der sich uns warm und sanft darbot. Das Wasser im See war ruhig und nur einzelne Tropfen, die sich noch verirrten, kräuselten die Oberfläche. Scheu traten einzelne Tiere aus dem Wald um zu grasen. Der Frühling hatte bereits Einzug gehalten und am Rande des Weges blühten Schneeglöckchen und Primeln. Alles war auf Werden eingestellt, Werden und Wachsen, Blühen und Gedeihen. Das Gras stand im satten Grün und die Weidekätzchen zeigten ihre Pracht.
„Ein schöner Name, Weidekätzchen, wie kleine Kätzchen, die sich an einen Ast schmiegen“, sagte ich lächelnd, während ich die Finger über die kleinen Härchen streichen ließ. Wir plauderten, Du und ich, wie schon lange nicht mehr, entdeckten Neues um uns und in uns, während wir immer in Richtung Regenbogen gingen.
Doch dann geschah es, das Unausweichliche. Die Sonne ging unter und mit ihr der Regenbogen. Wir hatten es nicht bemerkt, doch endlich hieltst Du mich an und wiest mich darauf hin.
„Der Regenbogen ist weg“, meintest Du überrascht.
„Ich weiß“, sagte ich lapidar.
„Aber wohin gehen wir jetzt? Wo sollen wir den Topf mit Gold finden?“, fragtest Du überrascht, „Deswegen sind wir doch losgegangen? Oder nicht?“
„Ja, wir sind deswegen losgegangen, und wir haben ihn schon längst gefunden“, erklärte ich ernst.
„Weißt Du was, was ich nicht weiß?“, fragtest Du irritiert.
„Offenbar. Aber hast Du es denn nicht gemerkt? Wir haben die Welt entdeckt, haben gelacht und geredet, haben uns gespürt und uns in der Welt. Das ist der Schatz, der Topf mit Gold, den wir gefunden haben“, erklärte ich Dir.
„Und er war so nahe“, sagtest Du nachdenklich, „Komm, wir machen uns Tee und erfreuen uns noch eine Weile daran.“

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