10. Das Gitter


Sie gehen die paar Schritte, nähern sich dem Schein der zehn Kerzen, die dort den Gang beleuchten, sie den Ansatz einer Treppe erkennen lassen, einer Treppe, die hinauf- und wohl hinausführt, erkennen die Chance aufzubrechen und aufzusteigen, erkennen den Ausblick, jetzt, da sie sich nicht mehr selbst im Weg stehen, jetzt, da ihnen nichts mehr die Sicht versperrt und finden sich abermals vor ein Hindernis gestellt. Was ist das schon wieder? Was wird sich ihnen noch alles in den Weg stellen bis sie hier endlich hinauskommen? Was werden sie sich noch alles in den Weg stellen bevor sie frei sein können? Anstelle der Mauer hat sich ein Gitter aufgerichtet. Wütend umfassen sie die kalten Gitterstäbe, drücken und zerren daran, bis die Knöchel weiß hervortreten, bis sie erschöpft ablassen, die Sinnlosigkeit ihrer Versuche einsehend. Der Schein der zehn Kerzen hat sie getäuscht, hat sie weiter sehen lassen, als sie gehen konnten. Sie geben auf und lehnen sich enttäuscht und verunsichert gegen die Gitterstäbe, an denen sie weder Schloss noch Öffnung entdecken können. Ihr Blick geht zum Schein der zehn Kerzen, der sie getäuscht hat, geht zum Treppenansatz, der wieder unerreichbar scheint, geht den Gang weiter, bis zum anderen Ende, doch was erkennen sie dort, dort am Ende des Ganges, an dem sie nichts mehr zu erkennen erwartet haben. „Am Ende aller Erwartung stehen Deine Augen, am Ende und am Anfang.“, denken sie, und merken, dass sie aufeinander vergessen haben. Den Berg, den Graben, den Kerker, die Kette, all das haben sie  überwunden und hinter sich gelassen, haben es überwunden um zueinander zu kommen, doch sie haben darauf vergessen. Irgendwo auf diesem Weg haben sie aufeinander vergessen. Im Schein der zehn Kerzen finden sie sich wieder und sprechen in ihren Gedanken den Willen des Aufeinander zu, sprechen das Aufeinander-zu – und die Gitter zerfallen unter ihren Händen im Schein der zehn Kerzen.

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