0801 Ich hätte es niemals erfahren


Ich hätte es niemals erfahren


Lange genug, viel zu lange, habe ich versucht zu entsprechen, und umso mehr ich versuchte Fehler zu vermeiden, dem Scheitern oder auch nur dem möglichen Scheitern aus dem Weg zu gehen, umso eingeschränkter wurde mein Handlungsspielraum. Ich konnte nur mehr den Weg gehen, der gerade und klar vor mir lag. Sicher kam ich da und dort zu einer Kreuzung, wo sich ein kleiner, geschlungener Weg vom Hauptweg trennte, sich bereits nach wenigen Metern in der Unübersichtlichkeit verlor. Einige Momente stand ich da und sah dem Weg der Ungewißheit entlang, der meine Neugierde und meine Entdeckerfreude weckte. Wer weiß was ich hinter dieser Kurve finden würde? Die Verwirklichung eine Traums? Die Erfüllung einer Sehnsucht? Die Begegnung mit dem Menschen, der mit mir zu dem Lied aller Lieder tanzen würde? Die Wiese inmitten des Waldes, von der ich bis jetzt nur ein Bild in meinem Kopf hatte? Schon wendete ich mich diesem, ob seiner Geheimnisumwittertheit einladenden, Weg zu. Schon setzte ich meinen Fuß in diese Richtung, als sich da diese andere Stimme in meinem Kopf meldete. Wer weiß was ich hinter der Kurve finden würde? Die Zerstörung meiner Träume? Die Vernichtung meiner Sehnsucht? Die Begegnung mit dem Menschen, der mich endgültig in den tiefsten Abgrund der Verlassenheit zu stürzen vermochte? Die Hölle auf Erden in Form eines überdimensionalen Ikeas, mit nur einem Eingang ohne Ausgang? Nein, das durfte ich nicht riskieren. Also zog ich den Fuß wieder zurück, um mich dem wohlbekannten, vernünftigen Weg zuzuwenden. Nein, es war nicht mein Weg. Das spürte ich schon lange, aber es war der Weg der Einsicht in die Vorschreibung der Normalität, ausgetretener, vielfachst erprobter Weg der Vernunft. Und wohlgemerkt, ich würde nicht mehr auf diesen Weg zurückkehren können, hätte ich mich einmal abgewendet von diesem bekannten, zwar langweiligen, nicht erfüllenden, doch auf jeden Fall friktionsfreien Weg. Nicht, dass ich unglücklich gewesen wäre auf diesem Weg, aber ich war auch nicht glücklich. Weder das eine noch das andere, emotional unbeteiligt und unbeeindruckt. Ich ging ihn weiter, weil ich nicht den Mut hatte das Neue, das Unbekannte zu wagen, und von mir aus hätte ich ihn wohl auch niemals gefunden, doch unversehens wurde mir auf diesem, doch sonst so ungefährlichen Weg, ein hohes Hindernis aufgebaut. Ich hätte kriechen lernen können, doch ich entschied mich abzubiegen, verließ das Wohlbekannte und Erprobte, und schlug den Weg ein, des Unbekannten und Geheimnisvollen. Diesmal zog ich den Fuß nicht mehr zurück, sondern ich ging ihn, vorsichtig zwar, aber ohne zu zaudern und zu zögern. Was ich hinter der geheimnisvollen Kurve entdeckte? Es war nicht das, was ich erhofft hatte, aber es war auch das nicht, was ich befürchtet hatte, sondern etwas gänzlich Unvermutetes. Doch auf jeden Fall war es richtig und wichtig mich nicht länger klein machen zu lassen, richtig und wichtig den einen, meinen Weg einzuschlagen, jetzt, in diesem Moment, da ich reif dafür war, für diesen, einen, meinen Weg.

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