Entzweiung
Der Waggon raste weiter, ungelenkt, ungebremst, dem Anhang
entgegen, und niemand war da, der eine Weiche umstellen konnte. Oder wollte?
Instinktiv war ich von Dir weggerückt, auch äußerlich. Instinktiv hatte ich die
Arme vor der Brust gekreuzt, um mich noch unzugänglicher zu machen, mich noch
mehr zu verschließen.
Ein einziges Wort zu viel, löste eine Lawine von Worten aus,
und halfen mit den Waggon noch zusätzlich zu beschleunigen. Immer näher rückte
der Abgrund der Entzweiung. Und anstatt nach einer Bremse, nach irgendeiner Art
von Ausweg zu suchen, musste ich es wissen, musste ich noch zulegen: „Und ich
bin doch nichts weiter als Deine Lückenbüßerin!“, wiederholte ich, kämpferisch
und doch in Abwehrhaltung.
Du sahst dem Waggon nach, wie er dem Abgrund entgegenraste,
und mich an, erstmals an, ohne mich zu berühren, erstmals ohne mir nahe zu
gehen, erstmals mit einer solchen Entfremdung, dass ich mir wünschte, Du wärst
weit, weit weg, ganz gleich wo, bloß weg von mir. Es fühlte sich so falsch an,
aber ich übersah dabei, dass es nicht falsch war, dass Du da warst, sondern
falsch war nur, dass wir diese Mauer zwischen uns aufbauten und es nicht
hinderten, dass wir den Waggon Richtung Abgrund rasen ließen und ihn nicht
hinderten.
Du schienst so fern, nur die Trauer in Deinem Blick konnte
ich noch erahnen, wollte ich nicht wahrnehmen. „Ich hatte es bereits zugegeben.
Ja, Du warst meine Lückenbüßerin, zu Anfang. Willst Du wissen wie alles
gekommen ist? Willst Du mir zuhören? Willst Du mich verstehen?“, fragtest Du
mich, und ich verstand sie durchaus, die Dringlichkeit in Deiner Frage,
verstand, und nahm doch nicht an. „Ich weiß nicht ob es noch einen Unterschied
macht. Ja, genau, was macht es für einen Unterschied ob ich weiß wie alles
gekommen ist oder nicht? Was macht es für einen Unterschied ob ich Dir zuhöre oder
nicht? So viel weiß ich inzwischen, habe ich gehört und verstanden: Ich bin
Deine Lückenbüßerin, eigentlich nichts weiter als der Kitt zwischen den
Fenstern ...“ „und willst offenbar auch noch der Nagel zu meinem Sarg werden.“,
fielst Du in meinen Gedankenfluss, der den Waggon immer noch mehr
beschleunigte, so sehr hatte ich mich in Rage und in mein Selbstmitleid
herumgeredet. „Entschuldige, aber ich sagte doch, das war zu Anfang, nur zu
Anfang. Ich habe zugegeben, dass Du recht hattest, recht hattest für den
Anfang.“, versuchtest Du einzulenken, doch es war zu viel zu spät, ich wollte
mich nicht mehr einwickeln lassen von Deinen Worten, von Deinen peinlichen
Versuchen Dich herauszuwinden. „Ich bin für Dich nichts weiter als Deine
Lückenbüßerin, in diesem Anfang, in dem die Basis für unsere Beziehung gelegt
wurde. Egal was Du darauf baust, die Basis bleibt die gleiche, ändert nichts
und wird niemals wieder etwas ändern.“, sagte ich und glaubte es, in diesem
Moment, glaubte die Endgültigkeit, und fügte damit den letzten Stein in diese
Mauer zwischen uns. Und der Waggon rollte weiter, ungelenkt, ungebremst, dem
Abhang entgegen.
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