Der Moment der
Ewigkeit
Die Nacht erwacht, und ich in sie. Ich lasse mich von ihr
erfassen, umhüllen von ihrer Zärtlichkeit, umschmeicheln von ihrer Wärme. Die
Nacht erwacht, entfaltet sich, um wieder zu entschlafen. Sie ist dem Werden und
Vergehen ebenso unterworfen wie ich und alles andere vom Sein ins Seiende
gesetzte. Der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen, von Willkommen-heißen
und Abschied-nehmen, von Geburt und Tod. Der ewige Kreislauf des Atemholens und
des Atemgebens. Alles, vom Marginalsten bis zum Größten ist dem Fortgang der
Zeit unterworfen, ist in der Zeit entstanden und ist in der Zeit vergangen, ist
seiend in der Zeit. Ich bin in der Zeit, seiend in der Zeit, die mich
begleitet, wohlvertraut, von Anfang bis zum Ende, wohlvertraut und doch so
unbekannt. Wohlvertraut, weil ich ihren Rhythmus mit aller
Selbstverständlichkeit hinnehmen und mich ihm fraglos unterwerfe. Unbekannt,
weil ich der Selbstverständlichkeit mißtraue und mich über das seiend hinaus
fragend auf das Sein richte. Die Zeit, als eingefangen und gezähmt in fassbare Einheiten, Sekunden,
Minuten und Stunden, die mich unberührt lassen, da sie konventionalisiert, mit
meiner Zeit nichts zu tun haben. Seiend bewege ich mich in der Zeit, kräfte-
und gedankensparend, da sie geschieht und ich mich nicht berühren lasse.
Doch neben dieser Zeit, die alles reglementiert, gibt es
noch die eine, meine Zeit. Zeit des Wartens, die zäh und stur nicht von der
Stelle gehen will. Zeit der Erfüllung, die galoppiert wie ein junges,
ungestümes, kraftstrotzendes Fohlen. Und noch immer ist es Zeit des seienden,
wohl nicht mehr dem allgemeinen Rhythmus unterworfen, aber immer noch außerhalb
bleibend.
Ich sitze auf meinem Steg, höre das Plätschern des Wassers
und das Rascheln der Blätter im Wind. Ich sitze auf meinem Steg, sehe den
vollen, klaren Mond und die Sterne im Wasser gespiegelt. Ich lasse los, das
Sehen und das Hören, lasse los, das Erfahren und Erkennen, lasse los, das
Benennen und Benutzen, lasse los und mich fallen. Ich löse die Sicherheit der
Fesselung um mich zu öffnen, entrolle mich wie ein Pergament, ganz und gar und
restlos, um nichts mehr zurückzubehalten, was ich sorgsamst verwahrte, um
nichts mehr zu verbergen, was ich peinlichst hütete, um nichts mehr zu
behalten, was Ich war, um mich in der Hingabe und völliger Selbstvergessenheit
als eine Angesprochene wiederzufinden, als Du, in der Überantwortung an den
Moment, der weder Werden noch Vergehen kennt, der Moment, der außerhalb der
geregelten Zeit steht, der Moment der Ewigkeit und Geworfenheit ins Sein. Du im
Je-Jetzt, nicht gesprochen, nicht einmal gehaucht, nicht gedacht, nicht einmal
geträumt, Du im Je-Jetzt bloß gelegt, geatmet, Je-Jetzt, als das
Unbegreiflichste und doch dem Ursprung am Nächsten. Du seiend, einen kurzen
Blick zu erhaschen auf das Sein an sich. Darbringung, Opferung, Schlachtung –
Je-Jetzt. Entfaltung, Ganzwerdung, Vervollständigung als Geschenk der Überfülle
im Je-Jetzt, dem Moment der Ewigkeit mitten im Leben, außerhalb des Seienden,
mitten in der Unfaßbarkeit des Seins-Moment der Ewigkeit, Je-Jetzt.
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