Einsamkeit
Von all den Nächten, die ich erwachen und wieder entschlafen
erlebte, waren nur sehr, sehr wenige in denen ich wirklich einsam war. Nicht
nur einfach allein, sondern einsam, wie eine Ausgestoßene, die nicht einmal
mehr in Gedanken einen Anknüpfungspunkt an ein Du findet, deren Isolation nicht
nur in einer körperlichen, sondern auch in einer geistigen, in einer seelischen
besteht. Einsamkeit, die nicht nur abschneidet von jedem anderen Du, ja von
jedem anderen Wesen, sondern auch jedes andere Wesen, jedes andere Du von mir
abschneidet. Nur wenige Nächte, das ja, aber auch, wenn es nur eine einzige,
nur eine läppische eine, einzige gewesen wäre, die Erinnerung hätte sich doch
eingebrannt, für immer. Es waren nur wenige, doch die Nacht der Einsamkeit,
dieser absoluten, existentiellen Einsamkeit, ist so lange, als würde sie alle
bereits vergangenen und alle noch kommenden Nächte umgreifen und all diese
miteinander nochmals übersteigen.
Nicht, dass sie unvermutet kämen, diese Nächte, nein, sie
kündigen sich an. Sie fallen nicht aus dem Nichts, sondern bereiten sich
gewissenhaft vor, um mich letztendlich doch zu überfallen.
In diesen Nächten der Einsamkeit, umgibt mich die
unerfassbare, unbrechbare Dunkelheit, umgibt mich und erfüllt mich. Mit jedem
Atemzug nehme ich Dunkelheit in mich auf. Mit jedem Schluck trinke ich
Dunkelheit, bis ich angefüllt bin bis zum Rand, wie eine Flasche, auf die der
Deckel fest gedrückt wird, und sie keinen Weg findet wieder aus mir
herauszufließen.
In diesen Nächten der existentiellen Einsamkeit ist es, als
würde alles in unerreichbare Ferne abrücken. Ich taste nach dem Stamm der
Weide, und dort, wo meine Hand den Stamm berühren sollte, weicht er zurück, und
erst, wenn ich die Hand entferne, schließt er sich wieder. Ich greife in das
Wasser des Sees, doch es weicht vor mir zurück, um sich erst wieder zu
schließen, wenn ich die Hand wegnehme. Ich taste nach Dir, taste, wo Deine
Brust sein sollte, und greife durch Dich hindurch, und Du bleibst völlig
ungerührt, weil ich es nicht vermag Dich zu berühren.
In diesen Nächten der existentiellen Einsamkeit ist es, als
würde ich von allem in unerreichbare Ferne abrücken. Das Gras, das meine
nackten Füße zu umschmeicheln sucht, suche ich zu umgehen. Der Wind, der mein
Haar zerzausen will, vermag es nicht anzutasten. Du, die Du versuchst mich in
den Arm zu nehmen, an Dich zu ziehen, Du prallst ab und findest Dich
zurückgestoßen.
In diesen Nächten der existenziellen Einsamkeit, will ich
meinen Schmerz hinausschreien, doch ich habe keine Stimme. Ich will von meinem
Leiden erzählen, doch die Luft weigert sich meine Stimme zu tragen. Ich will
Dich ansehen, doch ich sehe Dich nicht, so wie Du durch mich hindurch siehst.
In diesen Nächten der existentiellen Einsamkeit ist es, als
hätte ich aufgehört zu existieren, für meine Welt, für meine Menschen, für Dich
und auch für mich, als hätte ich mich in der Dunkelheit, der Lautlosigkeit und
der Namenlosigkeit verloren.
Dunkler als die Dunkelheit selbst, toter als der Tod selbst,
schmerzhafter als der Schmerz selbst, verlassener als die Verlassenheit selbst,
verlorener als die Verlorenheit selbst, sind diese Nächte der existentiellen
Einsamkeit.
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