2006 Glauben heißt nichts wissen


Glauben heißt nichts wissen


„Komm, lass uns eine Runde spazieren gehen“, schlugst Du vor, als Du an diesem Abend zu mir kamst, und ich folgte Dir, doch Du gingst nicht. Du liefst eher, sahst weder links noch rechts und warst nicht wirklich bei mir.
„Warum bist Du eigentlich da, wenn Du gar nicht da sein willst?“, fragte ich Dich gerade heraus.
„Weil ich es im Augenblick nirgendwo wirklich aushalte, doch hier noch am wenigsten“, gabst Du ehrlich zu.
„Und was ist es, was Dich antreibt, was Dich nicht zur Ruhe und nicht ankommen lässt?“, fragte ich weiter.
„Es sind all die Dinge, die ich nicht weiß. Egal wohin ich mich wende, überall gibt es so vieles, was ich nicht weiß“, sagtest Du.
„Aber auch wenn Du etwas von dem weißt, was Du jetzt noch nicht weißt, steht dahinter sofort wieder etwas, was Du nicht weißt, ja wahrscheinlich noch mehr als zuvor. Mit jeder Antwort, die Du findest, erstehen mindestens doppelt so viele neue Fragen. Du wirst nie zu einem Ende kommen“, entgegnete ich entsprechend.
„Du kannst einen ja wirklich aufbauen. Vielen Dank dafür!“, meintest Du spöttisch.
„Doch kann ich, denn ich behaupte mal, dass das wirklich wichtige im Leben das ist, was Du nicht weißt, nicht wissen kannst, an die Du glaubst“, behauptete ich.
„Glauben heißt doch nur nichts zu wissen. Das klingt mir sehr nach jemandem, der sich vorgenommen hat so zu tun, als hätte es die Aufklärung nie gegeben, nach Mittelalter und Voodoo“, erklärtest Du, warst aber dennoch endlich stehengeblieben, doch immer noch verloren und meinen Blick meidend.
„Sieh mich an!“, forderte ich Dich auf. Zögerlich bliebst Du stehen, doch Du tatst es und wandtest Dich mir zu.
„Sag mir, was Du in meinen Augen liest!“, wies ich Dich an.
„Ich lese, dass Du offen bist und mir zugewandt bist. Ich lese Deine Zuneigung und Deine Empathie. Ich lese von Deinem Interesse an mir und unserem Dialog“, antwortetest Du.
„Da liest Du richtig, aber Du kannst es nicht wissen, niemals konntest Du darum wissen. Du kannst es mir nur glauben, mir vertrauen und Dich mir anvertrauen, so wie ich mich Dir anvertraue“, erklärte ich.
„Ich kann mich darauf also auch nicht verlassen, nur einlassen, eigentlich auf gut Glück. Ich darf es auch nicht in Frage stellen oder Dich hinterfragen, da ich ja nicht weiß“, gabst Du zurück, und da schwang Resignation mit in Deiner Stimme.
„Du kannst Dich nur einlassen, so wie ich mich nur einlassen kann, je aufs Neue, doch deshalb darfst Du hinterfragen, die Grenzen und das Fundament neu ausloten. Wo wir uns anvertrauen und vertrauenswürdig sind, halten wir auch der Nachfrage stand, hält dem Ansturm und der Anfeindung stand, bleibt stark und aufrecht, dem Sturm und der Feme trotzend, doch wissen kannst Du nicht, und dennoch ist es wirksamer in Deinem Leben als alles Wissen, das Du je aufhäufen könntest, mehr als jede Sicherheit, die es je geben kann, ja Mehr als Alles. Vertrauen und Sich-Anvertrauen ist der Schlüssel zum Du und zu seinem lebendigen Miteinander. Nichts weiter. Doch niemals kannst Du endgültig wissen, weder um mich, noch um Dich selbst“, wandte ich entsprechend ein, und ich spürte wie Du ruhiger wurdest und mir noch einen Schritt entgegen tratst.
„Ich möchte niemals aufhören zu lernen und zu erfahren, doch vor allem möchte ich niemals aufhören Dich zu lernen und zu erfahren, denn nichts ist so vielschichtig und erweiternd wie Du“, sagtest Du Dich mir zu, und langsam setzten wir unseren Weg fort.
„Wo ich glaube weiß ich zwar nicht, aber ich vertraue, und dieses Vertrauen schenkt Lebendigkeit“, schloss ich, und wir waren uns wieder nahe, endlich wieder nahe.

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