Glauben heißt nichts wissen
„Komm, lass uns eine Runde spazieren gehen“, schlugst Du
vor, als Du an diesem Abend zu mir kamst, und ich folgte Dir, doch Du gingst
nicht. Du liefst eher, sahst weder links noch rechts und warst nicht wirklich
bei mir.
„Warum bist Du eigentlich da, wenn Du gar nicht da sein
willst?“, fragte ich Dich gerade heraus.
„Weil ich es im Augenblick nirgendwo wirklich aushalte, doch
hier noch am wenigsten“, gabst Du ehrlich zu.
„Und was ist es, was Dich antreibt, was Dich nicht zur Ruhe
und nicht ankommen lässt?“, fragte ich weiter.
„Es sind all die Dinge, die ich nicht weiß. Egal wohin ich
mich wende, überall gibt es so vieles, was ich nicht weiß“, sagtest Du.
„Aber auch wenn Du etwas von dem weißt, was Du jetzt noch
nicht weißt, steht dahinter sofort wieder etwas, was Du nicht weißt, ja
wahrscheinlich noch mehr als zuvor. Mit jeder Antwort, die Du findest, erstehen
mindestens doppelt so viele neue Fragen. Du wirst nie zu einem Ende kommen“,
entgegnete ich entsprechend.
„Du kannst einen ja wirklich aufbauen. Vielen Dank dafür!“,
meintest Du spöttisch.
„Doch kann ich, denn ich behaupte mal, dass das wirklich
wichtige im Leben das ist, was Du nicht weißt, nicht wissen kannst, an die Du
glaubst“, behauptete ich.
„Glauben heißt doch nur nichts zu wissen. Das klingt mir
sehr nach jemandem, der sich vorgenommen hat so zu tun, als hätte es die
Aufklärung nie gegeben, nach Mittelalter und Voodoo“, erklärtest Du, warst aber
dennoch endlich stehengeblieben, doch immer noch verloren und meinen Blick
meidend.
„Sieh mich an!“, forderte ich Dich auf. Zögerlich bliebst Du
stehen, doch Du tatst es und wandtest Dich mir zu.
„Sag mir, was Du in meinen Augen liest!“, wies ich Dich an.
„Ich lese, dass Du offen bist und mir zugewandt bist. Ich
lese Deine Zuneigung und Deine Empathie. Ich lese von Deinem Interesse an mir
und unserem Dialog“, antwortetest Du.
„Da liest Du richtig, aber Du kannst es nicht wissen,
niemals konntest Du darum wissen. Du kannst es mir nur glauben, mir vertrauen
und Dich mir anvertrauen, so wie ich mich Dir anvertraue“, erklärte ich.
„Ich kann mich darauf also auch nicht verlassen, nur
einlassen, eigentlich auf gut Glück. Ich darf es auch nicht in Frage stellen
oder Dich hinterfragen, da ich ja nicht weiß“, gabst Du zurück, und da schwang
Resignation mit in Deiner Stimme.
„Du kannst Dich nur einlassen, so wie ich mich nur einlassen
kann, je aufs Neue, doch deshalb darfst Du hinterfragen, die Grenzen und das
Fundament neu ausloten. Wo wir uns anvertrauen und vertrauenswürdig sind,
halten wir auch der Nachfrage stand, hält dem Ansturm und der Anfeindung stand,
bleibt stark und aufrecht, dem Sturm und der Feme trotzend, doch wissen kannst
Du nicht, und dennoch ist es wirksamer in Deinem Leben als alles Wissen, das Du
je aufhäufen könntest, mehr als jede Sicherheit, die es je geben kann, ja Mehr
als Alles. Vertrauen und Sich-Anvertrauen ist der Schlüssel zum Du und zu
seinem lebendigen Miteinander. Nichts weiter. Doch niemals kannst Du endgültig
wissen, weder um mich, noch um Dich selbst“, wandte ich entsprechend ein, und
ich spürte wie Du ruhiger wurdest und mir noch einen Schritt entgegen tratst.
„Ich möchte niemals aufhören zu lernen und zu erfahren, doch
vor allem möchte ich niemals aufhören Dich zu lernen und zu erfahren, denn nichts
ist so vielschichtig und erweiternd wie Du“, sagtest Du Dich mir zu, und
langsam setzten wir unseren Weg fort.
„Wo ich glaube weiß ich zwar nicht, aber ich vertraue, und
dieses Vertrauen schenkt Lebendigkeit“, schloss ich, und wir waren uns wieder
nahe, endlich wieder nahe.
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