2606 Das große Los


Das große Los


Er saß im Wohnzimmer, hatte die Beine hochgelegt, die Arme vor der Brust verschränkt und sah fern. Das hatte er sich wohl verdient, nach einem langen, harten Arbeitstag, Mühen, die er auf sich nahm, gerne auf sich nahm um seiner Familie einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen. Das war seine gottgegebene Pflicht und Schuldigkeit, und er, er trug diese Pflicht aufrecht auf seinen breiten, männlichen Schultern. Sie war zu Hause, und das war auch richtig so, da sie ja nun zwei kleine Kinder hatten. Das hieß aber auch, dass er ein Recht darauf hatte umsorgt und verwöhnt zu werden, wenn er abends ausgelaugt nach Hause kam. Ja, natürlich, sie hatte den Haushalt und die Kinder zu versorgen, aber im Grunde war es doch so, dass sie zu Hause war und es sich gut gehen lassen konnte. Auf jeden Fall hatte sie keine Sorgen, keine Probleme, denn schließlich war sie ja versorgt. Wohingegen er sich den ganzen Tag mit dem feindlichen Leben dort draußen abzukämpfen hatte, von denen sie noch nicht einmal eine Ahnung hatte. Das hielt er schließlich alles von ihr fern. Ja, es fühlte sich gut an seine Verantwortung einzulösen, und so genoss er seinen wohlverdienten Feierabend, während sie in der Küche stand und kochte. Als Pascha hatte ihre Freundin ihn letztens bezeichnet. Er musste wohl ein Auge drauf haben, dass diese Emanze nicht zu viel Einfluss auf seine Frau nahm. Er spürte, wie sich eine leichte Verdrossenheit in seine Gedanken schob.

„Schatz, müssten die Kinder nicht ins Bett?“, rief er in die Küche hinüber, woraufhin sie herüberlief. „Ja, schon, aber ich muss Dein Essen fertig machen. Aber vielleicht könntest Du ja ...“, warf sie vorsichtig ein. „Ganz bestimmt nicht. Wie oft habe ich Dir schon gesagt, Du musst Dir das alles nur ein wenig besser einteilen, dann funktioniert das auch“, entgegnete er. „Wie soll das denn gehen, wenn ich nicht weiß wann Du kommst, und wenn ich vorkoche, dann schmeckt es Dir nicht“, erwiderte sie entschuldigend. „Alles geht, wenn man sich nur richtig bemüht und auch wirklich will. Aber dann bringst Du die Kinder eben sofort anschließend ins Bett“, sagte er. „Ist gut!“, meinte sie, und lief zurück in die Küche.

Das musste ihm erst mal einer nachmachen, nach einem langen, harten Arbeitstag noch so verständnisvoll zu sein. Wirklich, ohne sich selber allzu sehr loben zu wollen, aber seine Frau hatte mit ihm das große Los gezogen. Aber er mit ihr? Na ja, sie bemühte sich zumindest, gab ihr Bestes, obwohl sie noch sehr viel lernen musste. Zugegebenermaßen hatte sie sich sehr verbessert, seit sie unter seinen Fittichen stand. Eigentlich war sie auch nicht schuld daran, dass sie eine schlechte Hausfrau war und nichts auf die Reihe bekam, bei der liberalen Erziehung. Das kommt eben davon, wenn man die Mädchen nicht rechtzeitig auf ihr zukünftiges Leben, vor allem auf  ihre Pflichten, vorbereitet.

„Schatz, was hat Dir die Kleine heut im Haushalt geholfen?“, rief er hinüber in die Küche, und sie lief zu ihm, nun endlich mit dem Tablett in der Hand. „Lisa ist zwei“, entgegnete sie entgeistert. „Stimmt, aber man kann nicht früh genug damit anfangen, vergiss das nicht“, wies er sie an.

Endlich hatte er sein Essen bekommen, und sie konnte die Kinder ins Bett bringen. Und nachdem Rituale wichtig und stabilisierend wirken, las sie den beiden noch was vor. Und nachdem Rituale wichtig und stabilisierend wirken, willigte sie ein, als ihr Mann Sex wollte. Daraufhin schlief er ein, und sie ging hinunter, schloss leise alle Türen, ging in die Küche um zu putzen und die Wäsche zu bügeln. Vielleicht konnte sie ja dann noch ein paar Seiten lesen, aber wahrscheinlicher war, dass sie dann zu müde sein würde. Wehmütig sah sie auf das Buch, das seit Monaten unangetastet herumlag. Dann eben morgen. Sie hatte wirklich das große Los gezogen, mit ihm und mit ihrem Leben.

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