Das große Los
Er saß im Wohnzimmer, hatte die Beine hochgelegt, die Arme
vor der Brust verschränkt und sah fern. Das hatte er sich wohl verdient, nach
einem langen, harten Arbeitstag, Mühen, die er auf sich nahm, gerne auf sich
nahm um seiner Familie einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen. Das war
seine gottgegebene Pflicht und Schuldigkeit, und er, er trug diese Pflicht
aufrecht auf seinen breiten, männlichen Schultern. Sie war zu Hause, und das
war auch richtig so, da sie ja nun zwei kleine Kinder hatten. Das hieß aber
auch, dass er ein Recht darauf hatte umsorgt und verwöhnt zu werden, wenn er
abends ausgelaugt nach Hause kam. Ja, natürlich, sie hatte den Haushalt und die
Kinder zu versorgen, aber im Grunde war es doch so, dass sie zu Hause war und es
sich gut gehen lassen konnte. Auf jeden Fall hatte sie keine Sorgen, keine
Probleme, denn schließlich war sie ja versorgt. Wohingegen er sich den ganzen
Tag mit dem feindlichen Leben dort draußen abzukämpfen hatte, von denen sie
noch nicht einmal eine Ahnung hatte. Das hielt er schließlich alles von ihr
fern. Ja, es fühlte sich gut an seine Verantwortung einzulösen, und so genoss
er seinen wohlverdienten Feierabend, während sie in der Küche stand und kochte.
Als Pascha hatte ihre Freundin ihn letztens bezeichnet. Er musste wohl ein Auge
drauf haben, dass diese Emanze nicht zu viel Einfluss auf seine Frau nahm. Er
spürte, wie sich eine leichte Verdrossenheit in seine Gedanken schob.
„Schatz, müssten die Kinder nicht ins Bett?“, rief er in die
Küche hinüber, woraufhin sie herüberlief. „Ja, schon, aber ich muss Dein Essen
fertig machen. Aber vielleicht könntest Du ja ...“, warf sie vorsichtig ein.
„Ganz bestimmt nicht. Wie oft habe ich Dir schon gesagt, Du musst Dir das alles
nur ein wenig besser einteilen, dann funktioniert das auch“, entgegnete er.
„Wie soll das denn gehen, wenn ich nicht weiß wann Du kommst, und wenn ich
vorkoche, dann schmeckt es Dir nicht“, erwiderte sie entschuldigend. „Alles
geht, wenn man sich nur richtig bemüht und auch wirklich will. Aber dann
bringst Du die Kinder eben sofort anschließend ins Bett“, sagte er. „Ist gut!“,
meinte sie, und lief zurück in die Küche.
Das musste ihm erst mal einer nachmachen, nach einem langen,
harten Arbeitstag noch so verständnisvoll zu sein. Wirklich, ohne sich selber
allzu sehr loben zu wollen, aber seine Frau hatte mit ihm das große Los
gezogen. Aber er mit ihr? Na ja, sie bemühte sich zumindest, gab ihr Bestes,
obwohl sie noch sehr viel lernen musste. Zugegebenermaßen hatte sie sich sehr
verbessert, seit sie unter seinen Fittichen stand. Eigentlich war sie auch
nicht schuld daran, dass sie eine schlechte Hausfrau war und nichts auf die
Reihe bekam, bei der liberalen Erziehung. Das kommt eben davon, wenn man die
Mädchen nicht rechtzeitig auf ihr zukünftiges Leben, vor allem auf ihre Pflichten, vorbereitet.
„Schatz, was hat Dir die Kleine heut im Haushalt geholfen?“,
rief er hinüber in die Küche, und sie lief zu ihm, nun endlich mit dem Tablett
in der Hand. „Lisa ist zwei“, entgegnete sie entgeistert. „Stimmt, aber man
kann nicht früh genug damit anfangen, vergiss das nicht“, wies er sie an.
Endlich hatte er sein Essen bekommen, und sie konnte die
Kinder ins Bett bringen. Und nachdem Rituale wichtig und stabilisierend wirken,
las sie den beiden noch was vor. Und nachdem Rituale wichtig und stabilisierend
wirken, willigte sie ein, als ihr Mann Sex wollte. Daraufhin schlief er ein,
und sie ging hinunter, schloss leise alle Türen, ging in die Küche um zu putzen
und die Wäsche zu bügeln. Vielleicht konnte sie ja dann noch ein paar Seiten
lesen, aber wahrscheinlicher war, dass sie dann zu müde sein würde. Wehmütig
sah sie auf das Buch, das seit Monaten unangetastet herumlag. Dann eben morgen.
Sie hatte wirklich das große Los gezogen, mit ihm und mit ihrem Leben.
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