2806 Vorfreude
Wenn er nach Hause kam, und zwar immer, nach einem langen
Arbeitstag, ließ sie wie selbstverständlich alles liegen und stehen um ihn zu
begrüßen, ihm einen Kuss zu geben. Lange schon wusste sie nicht mehr ob sie das
selber wollte oder ob sie es nur tat um ihn nicht zu erzürnen. Immer hatte sie
seinen Erwartungen entsprochen, bis auf das eine Mal, da sie es verabsäumte.
Nein, gedacht hatte sie sich nichts dabei, und schon gar nicht geschah es aus
böser Absicht. Es war nur, dass sie sich hinreißen hatte lassen, von dem Eifer
und er Begeisterung ihrer Kinder, hineinziehen hatte lassen in eine Tätigkeit,
bei der sie alles rundherum vergaßen, im Hier und Jetzt blieben. Es war für
nichts gut, bloß, dass sie ihrem Papa eine Freude machen wollten mit ihren
selbstgebastelten Sachen. So hatte sie überhört, dass er gekommen war. Erst als
er hinter ihr stand, die Arme vor der Brust verschränkt, erst da bemerkte sie
ihn. Voll der Freude übersah sie die Vorzeichen, die doch so offensichtlich
waren.
„Schau nur was die Kinder Tolles für Dich gebastelt haben?“,
wandte sie sich an ihn und war immer noch blind.
„Und wegen dem Blödsinn werde ich so völlig ignoriert? Wegen
einer dummen Bastelei habt ihr nicht einmal die Zeit mich zu begrüßen? Und das
in meinem eigenen Haus?“, schnappte er unerbittlich zu.
„Aber das war doch nur, weil die Kinder und ich so eine
Freude hatten und weil sie Dir eine Freude machen wollten!“, versuchte sie zu
erklären.
„Und meine Bastelei ist nicht blöd!“, warf die Große ein,
während ihr kleiner Bruder sich still in sich zurückzog und leise vor sich
hinweinte.
„Trotzdem werdet ihr wohl eine Minute erübrigen können mich
zu begrüßen“, fuhr er fort, die Einwände und auch die Tränen der Kinder völlig
ignorierend.
„Alsot gut: Schön, dass Du da bist. Wie war Dein Tag?“,
wollte sie ihn beschwichtigen, doch ihre Freude war wie weggeblasen. Ja, sie
hatte sich wirklich gefreut, auch auf ihn, aber er hatte es kaputt gemacht. So
klang alles, was sie sagte, wirkte alles, was sie tat, gekünstelt.
„Ach ja, jetzt plötzlich? Ich komme nach Hause, nach einem
langen, harten Arbeitstag, an dem ihr nichts weiter als Spaß gehabt habt, und
dann findet ihr es nicht einmal der Mühe wert mich zu begrüßen, mich?“,
ereiferte er sich.
„Ich sagte bereits, dass es mir leid tut. Und ich wollte es
auch wieder gut machen“, versuchte sie ihn zu beruhigen.
„Und darauf muss ich Dich extra aufmerksam machen? Ist es
nicht schlimm genug, dass Dir das nicht von selber einfällt? Ich erwarte mir
jag gar nicht viel, für all das, was ich für euch auf mich nehme, dafür, dass
ihr so ein schönes, sorgenfreies Leben führen könnt, so wenig erwarte ich mir,
und nicht einmal das ist möglich!“, konterte er scharf.
„Ja, das wissen wir doch und wir wissen es auch zu schätzen
...“, begann sie, doch er ließ sie nicht weitersprechen.
„Ach so, so nebenbei tust Du das ab, und überhaupt, wie es
hier schon wieder aussieht!“, entfuhr es ihm, und er begann das Zeug, dass da
so am Tisch herumlag, zu beseitigen. Er zerknüllte gerade das Papier, als ihr
Sohn laut aufschrie, was ihn dazu bewog in seinem Tun für einen Moment
irritiert inne zu halten.
„Das, was Du da gerade so achtlos zerknüllt hast, das war
das Auto, das Dein Sohn für Dich gebastelt hat. Zwei Stunden lang hat er
getüfftelt und gewerkt. So stolz war er, und aufgeregt. Zwei Stunden Hingabe
und Vorfreude, die Du mit einem Handstreich vom Tisch gefegt hast“, erkärte
sie, so ruhig es ging.
„Wann bekomme ich nun endlich mein Essen?“, war alles, was
ihm dazu einfiel.
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