Ich liebe Dich nicht mehr
Endlich hatte sie damit aufgehört ihn zu umklammern, hatte
damit aufgehört ihn mindestens zehn Mal am Tag anzurufen und noch mehr SMS zu
schreiben, zumal es doch zumeist äußerst fadenscheinige Gründe waren weswegen
sie den Kontakt mit ihm suchte. Sie hatte auch damit aufgehört ihn zu fragen
wann er denn nach Hause käme, ja sogar überhaupt ihn zu fragen was er tat.
Endlich hatte sie damit aufgehört ihn zu nerven, aufgehört
ihn mit Fragen zu nerven. „Wie geht es Dir?“, jede gefühlte Stunde, oder „Was
treibst Du denn so?“, jede gefühlte halbe Stunde, oder „Was denkst Du gerade?“,
die wohl nervigste Frage überhaupt, denn wie sollte er denn wissen was er
dachte, wenn er ständig aus dem Denken gerissen wurde.
Endlich hatte sie damit aufgehört ihn zu kontrollieren,
hatte aufgehört damit ihn ständig zu fragen wann er und wann er ginge, wo er
hingehe und wo er her komme, mit wem er dort war und mit wem nicht, hatte
aufgehört ihn ständig Rechenschaft über sein Tun und Lassen ablegen zu lassen,
hatte endlich aufgehört ihn auf Schritt und Tritt zu überwachen.
Endlich hatte sie aufgehört damit ihn einzuengen, ihm die
Luft zum atmen zu nehmen und bei jeder passenden und unpassenden
Gelegenheiten seine Entscheidungen zu
hinterfragen, hatte aufgehört damit ihn zu zwingen sich immer und immer wieder
erklären zu müssen.
Endlich hatte sie damit aufgehört. Nein, nicht nur
aufgehört, mehr noch, sie hatte ihr Verhalten völlig geändert. Sie fragte ihn
wohl noch wie es ihm ginge und wie sein Tag war, allerdings nur dann, wenn sich
die Gelegenheit ergab. Antwortete er, war es ihr scheins recht und sie hörte
ihm mit Anteilnahme und Empathie zu, wie er es gewohnt war, doch sie maßregelte
ihn nicht und forderte es nicht ein.
Eigentlich war es seltsam. Schlagartig wurde es ihm bewußt
wie sehr sie ihr ganzes Verhalten ihm gegenüber verändert hatte, einfach so,
und im Hochgefühl seiner neu gewonnenen Freiheit war es ihm erst gar nicht
aufgefallen, zunächst, wie weit sie von ihm abgerückt war. Als höflich und
zuvorkommend könnte man ihr Verhalten ihm gegenüber bezeichnen. In der Art etwa
wie man miteinander umgeht, wenn man lose befreundet ist, doch nicht wie
Eheleute. Zum ersten Mal seit ewig langen Zeiten begann er darüber nachzudenken
wie es wohl ihr ginge und was sie machte, so dass er sie anrief, entgegen aller
Gewohnheit, mitten am Tag.
„Hallo Schatz! Wie geht’s Dir?“, fragte er sie.
„Danke gut. Ist irgendetwas passiert?“, zeigte er sich
irritiert.
„Weil Du mich mitten am Tag anrufst. Das ist doch eher
ungewöhnlich“, entgegnete sie ruhig.
„Da hast Du recht, aber ich werde doch wohl noch meine Frau
anrufen dürfen wann ich will, ohne dass irgendetwas passiert sein muss“,
brauste er plötzlich auf.
„Das ist doch kein Grund sich gleich so aufzuregen“,
versuchte sie ihn zu beschwichtigen.
„Dann sag mir bitte was in letzter Zeit mit Dir los ist. Du
bist so ganz anders als sonst“, bat er.
„Ist Dir das aufgefallen? Nun ja, offenbar geht es Dir gut
damit“, entgegnete sie ausweichend.
„Das stimmt schon, aber ich möchte, jetzt wissen warum Du
Dich so geändert hast“, blieb er hartnäckig.
„Ich merkte endlich wie sehr Dich mein Verhalten nervte und
so änderte ich es. Ich fühle mich seitdem sehr viel freier, nachdem ich endlich
damit aufhören konnte all mein Tun und Denken von Dir abhängig zu machen. Und,
ich liebe Dich nicht mehr“, erklärte sie unverblümt.
Langsam und wie betäubt legte er auf.
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