Zwischen Gewissheit und Geheimnis
Den Brief hat der Wind aufs Wasser gelegt,
sanft und leise, und die Wellen haben ihn mit sich fortgetragen. Schaukelnd
entfernt er sich. Ich hätte ein Schiffchen daraus falten sollen, ein
Schiffchen, das mit den Wellen auf und nieder geht und Dir ein Willkommen
verheißt, ein Willkommen auf weiße Rosenblätter, die ich über den Steg gestreut
habe, weiß wie die Unschuld und der unbeschwerte Beginn, auf rote Rosenblätter,
die ich dazwischenlegte, rot wie das Blut und das Leuchten des abendlichen
Himmels. Die Sterne sollen uns strahlen und das Licht des vollen Mondes wird
uns umhüllen. Hättest Du eine Antwort erwartet? Hätte ich Dir schreiben sollen,
ich werde Dich am Steg erwarten, Dein auf mich Zukommen. Ich werde am Steg
stehen, die Haare im Wind flattern lassen. Den Fährmann habe ich angewiesen
Dich zu mir zu bringen. Nein, Du wirst diesen Weg nicht wählen, denn so sehe
ich schon von Weitem, dass Du kommst. Du wirst den Weg über die kleine Brücke
am Bach nehmen, an der Weide vorbei, auf die ich kletterte, damals, hoch
hinauf, weil ich so glücklich war und mir die Welt zu eng schien. Immer weiter
und weiter zu gehen, das wollte ich, immer weiter zuhören als Du Dich und Deine
Gedanken mir öffnetest. Zugang, den wir zueinander fanden – und es war eine
Nacht wie diese, berauschend in ihrer Einfachheit, bezaubernd in ihrer
Darbietung. Oder war das Empfinden der Nacht nur die Wiederspiegelung unserer
inneren Bewegung? Am Steg werde ich Dich erwarten, zwischen den Rosenblättern
und wende mich Dir zu. Soll ich Dir entgegen gehen oder soll ich Dich unbewegt
erwarten? Sollst Du meine Ungeduld wissen oder will ich wissen wie Du Dich mir
zuwendest? So oft, allzu oft habe ich es mir ausgemalt, dieses Wiedersehen,
immer ein wenig anders, doch immer unbelastet, weil es nicht wahr werden würde,
doch jetzt, jetzt könnte es sein. Wie soll ich sein? Ganz einfach wie ich bin?
Was werde ich sagen? Was wirst Du sagen? Da ist niemand, den ich um Rat fragen
könnte. Da ist niemand, den ich um Rat fragen wollte, dort, wo es nur Dich und
mich gibt – und das Licht des vollen Mondes. Hast Du gesehen wie schön die
Weide ist? Hast Du gesehen wie das Wasser glänzt? Hast Du? Schade, dann hast Du
nicht auf mich gesehen. Oder hast Du es nicht gesehen? Bist Du da? Wolltest Du
denn wirklich kommen? In meinem Kopf verschwimmt das Gestern mit dem Kommenden,
das Geschehene mit der Möglichkeit. Ich kann es nicht mehr trennen, das reale
Geschehen und das Wünschen, das mir Bilder eines Zueinander malte, das es
niemals gegeben hat und vielleicht auch niemals geben wird. Unvermittelt suche
ich die Wasseroberfläche ab nach dem Brief, den ich hineingleiten ließ, doch
ich kann ihn nicht mehr finden. Er ist wohl längst untergegangen. Oder ist er
auch nur ein Trugbild meiner Phantasie gewesen? Gut möglich, und doch, bin ich
nicht gerade eben erst dort oben auf dem Ast gesessen und habe ihn gelesen?
Doch warum ließ ich ihn fallen und habe ihn nicht aufgehoben? Trugbild, nichts
weiter als ein Trugbild meiner überspannten Phantasie, die nicht länger
anerkennen will, dass nicht sein kann, was nicht sein soll. Rosenblätter habe
ich gestreut! Weg damit, die weißen, denn nichts ist mehr unschuldig nach dem
ersten Mal, nach dem Glück und dem Schmerz, denn es kann keinen unbeschwerten
Beginn mehr geben, nachdem der erste vertan war. Weg damit, die roten, denn das
Blut bleibt kalt und ungerührt, nach dem ersten Aufwallen und das Leuchten des
abendlichen Himmels geschieht, einfach so, trotzdem. Weg mit all den Gedanken,
dass es das geben könnte, ein Auf-einander-Zu, jemals geben könnte. Nie mehr
wieder. Vielleicht noch in meinem Kopf – aber es kann nicht wahr sein, kann
einfach nicht. Und der Wind und die Wellen entfernen die roten und weißen
Rosenblätter wie Deinen Brief.
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