Der Schmerz
Einen Strauß langstieliger roter Rosen hielt
sie in ihren Armen, fest an sich gedrückt. Damit setzte sie sich auf den Boden und legte sie auf, eine Rose
neben die andere, in ihrem Schoß, den Stoff ihres weiten Kleides darunter breitend. Ich sah es, wie sie
die Rosen ausbreitete und bettete. Ich sah es, wie sie jede einzelne Rose in
ihre Hände nahm und übe die blutrote Blüte strich.
„Samtig weich ist ihr Haupt, wie Deines“, sprach sie mir zu, als ich mich
neben sie setzte.
„Dornenbewehrt ist ihr Leib, wie Deiner“, sprach sie mir zu.
„Dann zähme sie und nimm ihnen die Dornen“, spreche ich ihr zu.
„Nein, dann sind sie nicht mehr sie selbst, dann bist Du nicht mehr Du
selbst. Sieh, jede dieser Rosen steht für das Schöne, das Beglückende in einem Leben. Samtig weich
wie ihre Köpfchen, kommt es uns entgegen. Wir beugen uns entgegen, saugen den süßen, betörenden Duft ein, streichen über ihre samtene Haut und nehmen
sie. Mit beiden Händen greifen wir zu, packen sie an ihrem schlanken Leib und sie treibt
uns ihre Dornen durch die Haut ins Fleisch. Dunkelrot färbt sich der Stiel. Wir lassen sie
fallen und können doch nicht weitergehen. Das Köpfchen bleibt, dunkelrot, samten
und betörend duftend“, spricht sie mir zu.
„Dann schneide ihnen doch die Dornen weg“, spreche ich ihr zu, in all meiner
Naivität.
„Das wäre als würde ich das Leben selbst entzweischneiden, zu dem das samtig
Schmeichelnde ebenso gehört wie das Schmerzende“, sprach sie mir zu.
„Wer bist Du?“, fragte ich unvermittelt.
„Ich bin der Schmerz.
Diese Rose
ist das Glück der Mutter, ihr Kind in den Armen zu halten, und der Schmerz es gehen
zu lassen.
Diese Rose
ist das Glück der Liebenden, die sich fanden, und der Schmerz die Liebe auch wieder
welken zu sehen, der Schmerz der Trennung.
Diese Rose
ist das Glück der Freundschaft, die sich ereignet, unversehens, und der Schmerz des
Missverständnisses, des Nicht-Verstehens.
Diese Rose
ist das Glück des Erfolges, der Dich erfüllt, und der Schmerz ihn wieder zu verlieren.
Diese Rose
das Glück des Lebens, dessen Du teilhaftig
wirst, und der Schmerz es wieder lassen zu müssen.
Diese Rose
letztendlich ist das Glück des Moments, den Du lebst, und der Schmerz über jeden Verrat an den vergangenen
und an den zukünftigen.
Nur wenn Du
den Schmerz fasst und eindringen lässt, wirst Du zurückblicken auf ihr samtenes Köpfchen und Dich einlullen lassen von ihrem betörenden Duft“, sprach sie sich mir, sammelte die
Rosen wieder ein, die Stiele fest umfassend, und dunkelrotes Blut tropfte auf
den Weg, dunkelrot wie die samtenen Köpfchen.
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