2211 Viel passiert nicht


Viel passiert nicht


Es war nicht viel passiert. Wie immer war nicht viel passiert. Wir waren beim Heurigen, glaube ich, denn da war ein hübscher Gastgarten, vollgestellt mit Heurigenbänken. Wir waren zu zweit da, Du und ich. Ich stand auf und ging ein paar Schritte vom Tisch weg. Ganz kurz nur war es, oder zumindest denke ich, dass es nur ganz kurz war. Ich drehte um, weil ich merkte, dass ich meine Tasche vergessen hatte. Da waren die Tische derart miteinander vereint worden, dass ein Viereck entstanden war. Rundherum saßen Leute und in der Mitte, denn sowohl an der Innen- als auch an der Außenseite der Tische standen Bänke. Du saßt mitten drinnen. Es war laut, ganz furchtbar laut. Das Lachen, das Reden, alles unerträglich laut, und Du mitten drinnen. Die Leute, die da bei Dir, um Dich herum saßen, ich kannte sie nicht. Es mussten wohl Freunde von Dir sein. Niemand beachtete mich. Auch Du nicht. Doch ich wunderte mich nicht darüber, merkte ich. Ich wollte bloß meine Tasche. Unbedingt wollte ich meine Tasche. Doch sie war weggesperrt, so wie Du. Zuerst versuchte ich mich mit Gesten bemerkbar zu machen, doch Du sahst nicht zu mir. Du sahst mich nicht. Zu sehr warst Du ins Gespräch vertieft. Du redetest und lachtest mit den anderen mit. Hatte ich Dich je so viel reden, so viel lachen gehört? Egal, ich wollte meine Tasche. Ich versuchte Deinen Namen zu rufen, doch mein Ruf ging unter, aus diesem Lärm aus Worten und Lachen. Bald gab es auch keine Worte mehr, sondern nur mehr dieses dröhnende Lachen, das mich verhöhnte, das mich untergehen ließ, mich und meine Worte. Ich schrie, so laut ich konnte, doch auch mein Schrei war zu leise. Kaum, dass ich ihn selber hörte. Ich spürte eine kalte Wut in mir aufsteigen. Ich wollte doch nichts weiter als meine Tasche. So stieg ich auf die Bank, dann auf den Tisch. Ich merkte wie Teller brachen, Gläser umfielen. Der Inhalt ergoss sich auf Beine, floss wohl auch in die Schuhe, doch keiner achtete darauf. Keinem schien etwas aufzufallen, als wäre es das Normalste auf der Welt dass ich mir hier, mit Brachialgewalt, einen Weg bahnte. Ich stieg auf der anderen Seite des Tisches hinunter, setzte mich, direkt neben Dich. Du sahst mich an, und durch mich hindurch. Noch einmal sagte ich Deinen Namen. Du hörtest nicht. Unbeirrt sprachst Du, lachst Du, und ich gehörte nicht dazu. Ich nahm meine Tasche. Stand auf. Was hatte ich hier auch noch verloren. Ich wollte den selben Weg zurück nehmen, den ich gekommen war, doch die Leiber waren wie eine undurchdringliche Mauer, fest gefügt. So stellte ich die Tasche wieder nieder. In dem Moment tat sich ein Spalt auf. Also griff ich zur Tasche, doch sobald ich sie in der Hand hielt, schloss sich der Spalt wieder. Gehen konnte ich nur ohne meine Tasche und mit ihr nur bleiben, hier, wo ich nichts mehr verloren hatte.

Viel passiert nicht, aber einen Ausweg kann es nur geben, wenn ich bereit bin abzuschließen und alles hinter mir zu lassen. Binde ich mich an das Hier, so gibt es kein Gehen.

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