0802 Nur noch ...


Nur noch ...


Wir sitzen am Steg, Du und ich, so wie so oft. Die Nacht ist frisch, und wir kuscheln, eingehüllt in eine warme Decke. Du ziehst die Hand hervor, wirfst einen Blick darauf.
„Warum schaust Du schon wieder auf die Uhr?“, frage ich lapidar.
„Meistens um zu sehen wie spät es ist. Du weißt, dass ich heute rechtzeitig gehen muss. Ich habe es versprochen“, antwortest Du gereizt.
„Dann stell doch den Alarm, dann denkst Du nicht dauernd daran“, entgegne ich entsprechend.
„Dafür ist es jetzt wohl zu spät. Wir haben nur mehr eine halbe Stunde Zeit. Dann muss ich wirklich gehen. Das ist die Deadline“, erklärst Du mir.
„Es wäre wohl das Beste, wenn Du gleich gehst“, sage ich unvermittelt, so dass Du mich ansiehst, als käme ich von einem anderen Stern, als hätte ich gerade Deine Ausweisungspapiere unterschrieben.
„Du willst also, dass ich gehe? Du willst also, dass ich nicht mehr bei Dir bleibe? Du willst also für Dich sein? Du willst wahrscheinlich, dass wer anderer hier an meiner Stelle sitzt? Du willst mich loswerden?“, fragst Du, und es klingt wenig beherrscht.
„Interessant was Du aus meiner kleinen Bemerkung für Schlüsse ziehst. Die letzte Stunde hindurch hast Du nichts anderes gemacht als ständig auf die Uhr zu sehen. Dann ging Dein Blick weg von der Uhr, hin zu mir und in den Nachthimmel. Jedes Mal hast Du geseufzt, jedes Mal Dich wegbewegt, wenn Du dachtest, jetzt sind es nur noch so und so viel Minuten, dann muss ich gehen, und indem Du dachtest, jetzt muss ich gehen, bist Du den Weg in Gedanken bereits gegangen, hast Dir vorgestellt, wie Du die Füße voreinander setzt, wie Du ankommst und tust, was immer Du auch zu tun hast. Nicht ich will, dass Du gehst, aber wenn Du daran denkst, dass Du gehen musst, bist Du längst gegangen“, versuche ich zu erklären, und Du siehst betrübt ins Wasser.
„Ich habe uns also unsere gemeinsame Zeit kaputt gemacht“, meinst Du leise.
„Ja, das hast Du, aber Du hast es nicht gesehen. Immer wieder passiert es, dass wir weggehen bevor wir weggehen wollen. Immer wieder passiert es, dass wir etwas vorwegnehmen, was wir nicht wollen, gerade weil wir es nicht wollen. Es ist Zeit zu lernen“, sage ich sanft.
„Zeit zu lernen, aber es ist schon zu spät. Wir haben nur noch zwanzig Minuten Zeit“, bemerkst Du, und ich nehme bestimmt Dein Handgelenk, dass Du nicht mehr hinsehen kannst, auf die Uhr und die Determiniertheit und ihre Auswirkungen, dass Du mich ansiehst, und sonst nichts.
„Schenk mir noch einen Blick. Schenk mir noch ein Ineinander. Schenk mir noch einmal Deine Gedanken“, sage ich fest, und Du siehst mich an, und ich weiß, dass Du da bist, hier bei mir, jetzt und im Moment.
„Ich bin da“, sagst Du.
„Ich weiß“, entgegne ich kurz.
Und es ist der Moment, der keines Wortes mehr bedarf, der in sich ist, wie wir in uns, der sich schließt und öffnet, wie ein pochendes Herz, der Zugang und Ausgang bildet für alles, in allem.
„Ich bin da und ich bin es“, sagst Du leise.
„Ich weiß“, entgegne ich kurz.
Und wenn Du gehst, so gehst Du den Weg gerade in dem Moment, indem Du ihn gehst, ohne ihn gedanklich vorweggenommen hast, und Du wirst ihn gehen, wenn Du wiederkommst um zu bleiben, da zu sein.

Und bis es so weit ist, werde ich mich zurückziehen, für eine kleine Weile, ganz in mich, bevor ich wieder zu Euch komme und meine Gedanken mit Euch teile. Ab 19. Februar könnt ihr sie wieder lesen.

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