Dia.log (9): Gottes Sprache ist Leben
Gott schuf durch sein Wort. Noch vor der Zeit war er in
Ewigkeit und begann die Zeit und begab sich aus der Ewigkeit und ward Wort, in
der Ur-Einheit, sprachlos, wollend, atmend, und sein Wort ward das Sein und das
Leben. Sein Wort war vor der Sprache und vor jeglicher Verwirrung, und doch war
es so kraftvoll und schenkend wie kein anderes Wort, denn es war das Eine, dem
alles entspross. Und das Wort ward Gott und Gott war das Wort, weil Er sich
darein begab und das Leben nicht für sich behielt, nicht in der Ewigkeit in
sich selbst ruhte. Die Schöpfung, die sein Wort war, war Verstehen und
Hinwendung, bis der Mensch kam. Wohl Teil der Schöpfung und des Wortes, ebenso
in es begriffen wie alles andere in dieser Schöpfung, und doch taub und blind
sich stellend. Und Gott, der aus seinem In-Sich-Ruhen in der Ewigkeit diesen
Schritt aus sich getan hatte, um seiner Schöpfung willen getan hatte, ging noch
einen weiter und ließ das Wort Fleisch werden. Inkarnation Gottes in Seinem
Wort, in Seinem Immanuel, in Seiner selbst, da er die Menschen sehend, hörend
und berührend werden wollten. Das Wort, der Logos, das Gott selbst war, ging
unter die Menschen und ließ sich von ihnen berühren und berührte sie, um sie zu
sich selbst und zur Eigentlichkeit des Lebens zurückzuführen. Und die sich von
Ihm anrühren ließen begannen zu verstehen, die Eigentlichkeit und das Leben und
die Zugewandtheit. Doch auch das Missverstehen ging mit ihm. Es war ihnen zu
wenig, den Menschen, wie immer zu wenig. War es ihnen nicht genug, dass Er ihr
Herz befreite und ihrer Seele Zuversicht schenkte? Sie wollten noch mehr. Sie
wollten Befreiung. „Sei unser Befreier, unser Retter!“, riefen sie ihm zu. „Ich
bin Euer Retter in das Wort“, antwortete Er, aber sie verstanden nur, dass Er
ihr Retter war. Retter vor den Besatzern. Retter aus der politischen
Unterdrückung. Retter vor Hunger und Not. Retter vor der bissigen Ehefrau.
Retter vor üblen Leibschmerzen. „Hosianna! Hochgelobt sei der da kommt im Namen
des Herrn!“, frohlockten sie an diesem Abend noch, als er einzog, denn sie
verstanden nicht. Die Menschen verstehen niemals etwas, schon gar nicht das
Wort, das sich ihnen schenkt. Sie jubelten Ihm zu als den politischen Messias.
Niemals hatte Er das gewollt. Und die wenigen, die begriffen hatten, die schwiegen.
Doch die Enttäuschung war groß, als es am nächsten Morgen immer noch so war,
als die Unterdrücker noch da waren, gleich ob sie nun Römer waren oder die eigenen Hohepriester. Immer noch lagen
die Fesseln um ihre Armgelenke. Immer noch mussten sie sich vor Herren beugen,
die sich zu Herrschern, ja Göttern aufspielten. Nichts hatte Er getan von all
dem, was er gesagt hatte, meinten sie, doch Er hatte nichts weiter gesagt, als
dass er sie aus der Zerstückelung in die Ganzheit des Wortes retten würde. Nichts
weiter, und doch die unversiegbare Quelle des Lebens. Die Büchse der Pandora
war wieder zu früh geschlossen worden. Die Hoffnung blieb eingeschlossen. Zu
schnell hatten sie verstanden, hatten verstanden, was sie verstehen wollten. Nichts
anderes schien ihnen dringlich, als die Rettung aus der politischen
Unterdrückung. War Er denn wirklich Gottes Sohn, Sein Wort, dann müsste es Ihm
doch ein Leichtes sein, die Unterdrücker aus dem Land zu jagen, aber er tat es
nicht. Und ebenso schnell wie die Begeisterung unter den Menschen entflammt
war, ebenso schnell verwandelte sich diese Begeisterung in Misstrauen und dann
in Hass. „Er hat versprochen uns zu retten. In Wahrheit hat Er uns verraten und
in unserem Elend alleingelassen. Er hat uns versprochen unser Befreier zu sein.
Stattdessen hat Er unser Joch noch erschwert.“, sagten sie. Und der Hass
brachte sie dazu Ihn zu verraten und Ihn denen auszuliefern, die sie am meisten
fürchteten. Niemals wieder würde Er sie enttäuschen. Niemals wieder würde Er
ihnen falsche Versprechungen machen. Doch sie hätten nur ein wenig genauer
hinhören sollen, dann hätten sie gewusst, dass die Befreiung stattgefunden
hatte.
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