Nie mehr soll es passieren ...
„Keine Sorge, es wird nicht lange dauern“, sagte Nele
beruhigend, die sich neben ihn gesetzt hatte, und tatsächlich war es Stephan,
als würde es jemand anderen betreffen. Dieser Nebel wurde stärker in seinem
Kopf. „Du hast mir meinen Penis
abgeschnitten?“, fragte er verwundert, als er an sich herabblickte und mühsam
erkannte, was geschehen war. „Ja“, antwortete Nele kurz, „Aber Du wirst nicht
viel spüren. Gleich ist es vorbei. Du wirst innerhalb kürzester Zeit verblutet
sein.“ „Aber warum hast Du das getan?“, fuhr Stephan fort, während er zusehends
schwächer wurde. „Weil so ein Ding meiner Mutter das angetan hat, und mir.
Damals wurde sie vergewaltigt, worauf sie schwanger wurde. Der Mann war
angesehen und verheiratet, und meine Mutter arm. Sie sagten, sie hätte ihn
verführt und jagten sie aus dem Dorf, beschimpften sie als Nutte und
Ehebrecherin. Meine Mutter wusste nicht wo sie hinsollte. So lief sie in diesen
Wald und fand die Hütte, die damals verlassen war. So gut es ging richtete sie
sich ihr Leben hier ein und lernte zu überleben, hier im Wald. Alles was ich
weiß, habe ich von ihr gelernt. Sie war eine kluge Frau, doch ich bin schuld,
dass sie hier leben muss. Ich bin schuld, dass sie ihr Elternhaus verlassen
musste. Ich bin an all ihrem Unglück schuld. Das war es was ich mein ganzes
Leben lang zu hören bekam. Und deshalb sorge ich dafür, dass Du keiner Frau
mehr so etwas antun kannst“, erklärte Nele. „Aber ich habe doch nicht ...“,
versuchte Stephan schwach zu sagen. „Vielleicht hast Du. Vielleicht hast Du
nicht. Es ist auch egal. Männer wollen immer, und wenn sie es nicht bekommen,
dann nehmen sie es sich. So ist das. Es war so einfach. Bei Dir und bei den
anderen“, meinte Nele. Die anderen, schoss es Stephan durch den Kopf. Jetzt
wusste er auch, wo seine Freunde geblieben waren. Auch sie waren Nele zum Opfer
gefallen, hatten sich verführen lassen und mussten dafür sterben. „Du solltest
nicht so viel reden und nachdenken“, sagte Nele, und ihre Stimme klang, als
käme sie von weither. „Aber was ist mit Deiner Mutter?“, fragte Stephan noch.
„Sie schläft und wird nicht mehr aufwachen. Ich habe dafür gesorgt, dass sie
mir nie wieder Vorwürfe machen kann, dass sie mir nie wieder die Schuld geben
wird“, antwortete Nele. Das war also der Grund für den Geruch nach Verwesung
und Tod in der Hütte, den Nele mit dem ganzen Lavendel zu überdecken versuchte.
„Du wirst so nicht davonkommen. Sie werden es entdecken“, sagte Stephan
schwach. Dann wurde er ohnmächtig. Nie mehr sollte er die Augen öffnen.
Versonnen blieb Nele neben ihm sitzen. Vielleicht werden sie es irgendwann
entdecken. Vielleicht werde ich nicht so davonkommen. Aber es spielt keine
Rolle, dachte sie, während ihr Blick versonnen über die Lichtung streifte.
Endlich raffte sie sich auf , zog sich ihr Kleid wieder an und zog den toten
Körper in den Wald, wo sie ihn in eine Grube fallen ließ, die sie bereits
vorbereitet hatte. Während sie das Loch zuschaufelte überlegte sie, ob es nun
nicht doch langsam an der Zeit wäre auch ihre Mutter hier einzugraben. Die
Menschen würden wieder kommen und nach Stephan suchen, wie nach den Männern,
die vorher dagewesen waren. Sie würden wieder unverrichteter Dinge umkehren,
doch wenn es doch einmal einer wagen sollte, die Hütte zu betreten und die
Mutter vorfände, den Schnitt am Hals entdeckte, dann könnte es passieren, dass
sie genauer suchten. Das wollte Nele nicht riskieren, aber dafür wäre morgen
auch noch Zeit. Stattdessen las sie dürre Zweige vom Boden auf. Sie würde den
Ofen einheizen, denn die Nächte hier heraußen im Wald waren auch im Juni noch
frisch. Warm und gemütlich würde sie es haben, in ihrer Hütte und gut schlafen.
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