Ein Ort zu Bleiben (Teil 1)
Nebelgebettet, zart
umschmeichelt, erheben sich die schroffen, steilen Steinwände gen Himmel,
nebelgebettet nimmt die Nacht die Härte. Der Nebel umfließt die Steine, mich,
flüsternd, drängend: „Nur zu, bleib bei mir, geh den Weg. Ich nehme Dich an.“
Der Wind hat sich zur Ruhe begeben: „Willst Du nicht auch endlich Ruhe
finden?“, raunt er in meinem Kopf. Oh ja, das will ich, ruhig werden, endlich
ganz, ganz ruhig. „Dann steig an uns hinauf.“, laden mich die Felswände ein,
„Steig an uns hinauf, und lass Dich fallen, in einen langen, langen Schlaf, der
weder Traum noch Ende kennt, den langen, langen Schlaf, der Dich nicht
enttäuscht und nicht mehr entläßt in die Unruhe und Rastlosigkeit, der nichts
kennt als Stetigkeit und Annahme. Es gibt keine andere Treue als seine.“ „Ich
danke Dir für Deine Einladung, doch das ist nicht der Weg, den ich gewählt
habe.“, denke ich, während meine bloßen Füße den feinen Kies berühren, ein
wenig einsinken, eine kleine Spur hinterlassend, die bedächtig und verläßlich
mit der nächsten Welle eingeebnet wird, unbeugsam und unbeeindruckt.
„Wir hinterlassen keine
Spuren, nicht in dieser Welt, nicht in diesem Leben.“, denke ich, „Und so gerne
wir es auch hätten, auch nicht in den Gedanken und Herzen, die uns
möglicherweise zugetan waren. Und es ist gut so. Die Spuren als bleibend zu
denken lähmte jeden Gedanken. Nichts überdauert den langen, langen Schlaf,
nichts geht mit hinüber, in die einzige Freiheit. Wäre es nicht so, die Welt
wäre nicht mehr begehbar vor lauter Spuren, die Gedanken wären versteinert vor
lauter Rückwendung, und die Herzen wären versiegelt, unnahbar. Nein, nichts
bleibt und nichts soll bleiben.“
„Du atmest die Freiheit.
Du fühlst Dich unbelastet.“, flüstert der Mond, mich mit seinem Silberglanz
überschüttend. „Ja, ich fühle mich unbelastet, atme die Freiheit.“, denke ich,
„Zum ersten Mal atmen und fühlen, seit jenem Moment, in dem meine Lungen sich
zum ersten Mal eigenständig füllten, zum ersten Mal frei und unbelastet.“
„Komm zu uns, lass Dich
von uns umarmen.“, flüstern mir die Wellen zu, verlockend und süß, rollen auf
mich zu, umschmeicheln meine Knöchel, bäumen sich auf, sinken und vergehen, um
ihren Schwestern, die nachkommen, Platz zu schaffen, „Komm zu uns, Dich rund um
zu betten, so weich, wie Du noch nie gebettet wurdest.“ „Ich will Eure
Einladung annehmen.“, denke ich, und wende mich den Wellen zu.
Schritt für Schritt,
umspielen meine Knöchel, meine Schenkel. „Ich will zu Euch kommen, mich fallen
lassen in Eure Umarmung.“ Der Nebel vor mir verdichtet sich, nimmt Gestalt an,
zwingt mich anzuhalten: „Weißt Du denn nicht, daß sich das nicht gehört, was Du
da vorhast? Hast Du denn wirklich auf alles vergessen, was ich Dir beigebracht
habe?“ „Nein, Mutter, ich weiß sehr wohl was sich gehört, und ich habe alles behalten,
von dem, was Du mir beigebracht hast.“, antworte ich wahrheitsgemäß, „Das hat
meinen Kopf und meine Gedanken verkleistert, hat mich nicht durchdringen
lassen, zu dem, was meine Gedanken hätten sein können. Doch jetzt, jetzt lasse
ich meine Gedanken reinwaschen, durch das Wasser, das mich annimmt wie ich
bin.“ Und die nächste Welle nimmt sie mit, die nebelhafte Gestalt, löst sie
auf.
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