Ein Ort zu Bleiben (Teil 2)
Und ich setze Schritt um
Schritt, Wasser umspielt meine Knöchel, meine Schenkel, meine Knie, als aus dem
silbrigen Mondlicht eine Gestalt herausbricht, die mich am Weitergehen hindert:
„Was ist mit Deiner Verantwortung? Was ist mit all den Aufgaben, die unerledigt
auf Dich warten? Hast Du denn wirklich alles vergessen, was ich Dir beigebracht
habe?“ „Nein, Vater, ich weiß um meine Verantwortung, und ich habe alles
behalten von dem, was Du mir beigebracht hast.“, antworte ich wahrheitsgemäß,
„Ich habe alles geregelt, die Aufgaben verteilt und anderen anvertraut, die
noch nicht entdeckt haben, das all das Streben nichts weiter sind als
Ablenkungs- und Täuschungsmanöver, denn ganz egal wie viele Aufgaben ich
erfülle, nichts bewahrt mich vor diesem letzten Weg, niemanden von uns. Warum
ihn denn nicht tun bevor ich noch mehr Kräfte vergeude?“ Eine Wolke, die sich
vor den Mond schiebt, zwingt die Mondlichtgestalt sich aufzulösen.
Und ich setze Schritt um
Schritt, Wasser umspielt meine Knöchel, meine Schenkel, meine Knie, meine
Lenden, als das Wasser sich vor mir aufbäumt und eine Gestalt mein
Fortschreiten hindert: „Warum nur läßt Du mich im Stich? Während all unserer
gemeinsamen Jahre war ich nur für Dich da, und so dankst Du es mir, indem Du
mich einfach verläßt? Weißt Du denn nicht wie sehr ich Dich liebe? Weißt Du
denn nicht, daß ich ohne Dich nicht leben kann?“ „Nein, mein Liebster, dem ich
mich vor dem Altar und Gott zusprach, nein, ich habe nichts von all dem
vergessen.“, antworte ich wahrheitsgemäß, „Nichts von meiner anfänglichen
Euphorie, von all den Illusionen, denen ich erlag und von all den Hoffnungen,
die ich hatte. Aber genauso wenig habe ich darauf vergessen wie mich diese
Illusion vom trauten Zusammen langsam innerlich aufgefressen hat, bis nichts
mehr von mir übrig war, was mich an mich erinnerte, nichts mehr von dem, was
ich einst war. Ich bin mir wie Sand durch die Finger geronnen und der Wind hat
mich verweht. Ich bin schon lange nicht mehr. Das ist nichts, was Du lieben
könntest, das ist nichts mehr, was liebte.“ Und die Wasserfigur bricht vor
meinen Augen in sich zusammen.
Und ich setze Schritt um
Schritt, Wasser umspielt meine Knöchel, meine Schenkel, meine Knie, meine
Lenden, meine Brust, als zwei Gestalten vor mir auftauchen, zwei Sternen
gleich: „Hast Du denn auf uns vergessen? Sind wir nicht die zunächst Deinem
Herzen? Weißt Du denn nicht, daß wir Dich brauchen?“ „Nein, meine Kinder, ich
habe Euch nicht vergessen. Ich habe Euch unter meinem Herzen getragen, und ihr
seid in mein Herz eingebrannt, durch all die Jahre, und wenn es einen gnädigen
Gott gibt, so ist es das, was ich mitnehmen möchte, in diesen langen, langen
Schlaf.“, antworte ich wahrheitsgemäß, und ich spüre wie ich meine Tränen
wiederfinde, mich schwanken lassen in meinem Entschluß, „Doch Ihr braucht mich
nicht mehr. Ich habe Euch alles gegeben was ich geben konnte, alles, und viel
mehr als ich selbst je auch nur geahnt hatte geben zu können. Jetzt lebt Euer
Leben und werdet glücklich.“
Und während ich die Arme
ausbreite um sie noch ein letztes Mal zu umarmen, spüre ich wie ich sinke,
umschlossen werde vom Wasser, sinke ohne es zu hindern, hindern zu wollen, als
ich mich emporgehoben fühle, leicht wie eine Feder, gedreht werde, und aus der
Ferne dringt der Klang des einen Liedes, zu dem zu drehen sich lohnt. Ich weiß
mich angenommen, unbelastet und frei.
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