Anders als gedacht
Adele lag in dem engen, dunklen Sarg und
spürte wie die Panik in ihr hochstieg. Wo ist denn nur diese verdammte Box?, dachte
sie, während sie in ihrer Tasche kramte. Der Sarg wurde in die Grube
hinabgelassen. Dann stand er wieder still. Wie viele Filme hatte sie doch
gesehen von lebendig Begrabenen. Egal wie unterschiedlich die Umstände waren,
sie hatten doch alle eines gemeinsam, die blutig gekratzten Fingernägel. Das
konnte sie nicht machen, so frisch von der Maniküre kommend, und wozu auch, sie
wurde ja wieder herausgeholt, ganz bestimmt wieder herausgeholt. Von Ferne
drangen salbungsvolle Worte an ihr Ohr Endlich hatte sie die Pillenbox
gefunden, öffnete sie und tastete darin herum. Eine war noch da, eine einzige.
Hastig schob sie sich diese in den Mund, während draußen kleine Schaufelchen
mit Erde auf ihren Sarg geworfen wurden. Während sie immer ruhiger und ruhiger
wurde, entfernte sie das Geräusch und auch alle anderen, bis sie nichts mehr
hörte. „Vielleicht war es doch ein wenig übertrieben, ein wenig zu
realistisch“, merkte Reinhard nachdenklich an, als der Sarg wieder geöffnet
worden war und Adele mit geschlossenen Augen darin lag und nicht mehr reagierte.
„Ob sie wohl eingeschlafen ist?“, fragte Amanda, die sich ebenfalls über den
Sarg gebeugt hatte. „Ob man unter solchen Umständen einschlafen kann?“, fragte
Reinhard sarkastisch, „aber vielleicht hat sie ja eine von ihren kleinen Pillen
genommen, um sich zu beruhigen.“ Doch da war kein Puls, kein Atemzug, der die
Brust gehoben hätte. Auch der Arzt, der umgehend gerufen wurde, konnte nur mehr
den Tot feststellen, so dass es doch noch eine richtige Beerdigung wurde, und
aus den falschen mehr oder weniger echte Tränen. „Wie hatte das nur geschehen
können?“, fragte sich Amanda.
Drei Tage später war Reinhard mit dem Auto
Richtung Monaco unterwegs, und er war nicht alleine. „Jetzt hast Du es doch
endlich geschafft sie loszuwerden“, sagte Amanda erfreut, „Nach all den Jahren
war es nun doch so einfach, obwohl ich nicht weiß wie Du das gemacht hast, dass
sie dann wirklich starb.“ „Ach es war nicht schwer“, sagte Reinhard lächelnd,
„Es hat halt einfach eins ins andere gepasst.“ „Aber wie hast Du es gemacht,
vor allem, dass niemand Verdacht schöpfte?“, blieb Amanda hartnäckig, und
Reinhard musste zugeben, er fühlte sich geschmeichelt von so viel
Aufmerksamkeit für sein Werk. „Nun, Du weißt ja, dass sie bei jeder kleinen
Aufregung zu ihren Beruhigungstabletten griff. Unser Hausarzt bestätigte gerne,
dass sie von dem Zeug abhängig war. Nun sehen meine Herztabletten ihren
Tabletten sehr ähnlich, und diese lagen im Badezimmer immer nebeneinander. Als
sie das letzte Mal eine Tablette in die Box gab, hat sie wohl die falschen
erwischt, nehme ich an. Im Dunklen konnte sie das dann sowieso nicht
unterscheiden, und das genügte“, erklärte Reinhard nachdenklich. „Wenn man es
so sieht, kannst Du ja wirklich nichts dafür, hast Du nichts getan“, resümierte
Amanda. „Ganz genau so ist es“, bestätigte Reinhard, „Das war einfach Schicksal
oder vielleicht die Strafe dafür, dass man nicht Dinge vorwegnimmt, die noch
nicht reif sind“, merkte Amanda an, „Obwohl es doch sein Gutes hat.“ „Das hat
es, und es hätte nicht gelegener kommen können, aber ich denke, wir sollten in
Monaco nicht ins Casino gehen“, meinte Reinhard. „Denn bei so viel Glück in der
Liebe, können wir im Casino nur verlieren“, ergänzte Amanda lachend, während
sie sich den Wind durch die Haare wehen ließ. Wie schön das Leben doch sein
konnte.
2 Kommentare:
Ja, der letzte Satz ist die Moral dieser gemeinen Geschichte, die ein wenig an Poe erinnert. Bei Ihm hatte die Hauptfigur Angst vor dem lebendig begraben Werden, und hier sorgt sich die Frau bloß um ihr Aussehen im Tod. Dass sie dabei tatsächich stirbt, ist nur folgerichtig. Weil sie gut aussah.
Der Vergleich mit Po ehrt mich außerordentlich.
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