Knurx
Ein
üblicher, ein gewöhnlicher, ein Jeder-Tag-Morgen. Ich stelle mich unter die
Dusche. Ein Schauer. Toll – kein warmes Wasser. Ich werfe einen Blick auf den
Boiler. Kein Lebenszeichen. Ich sollte den Installateur anrufen, denke ich mir,
und als ich gewohnheitsmäßig den Laptop einschalte, habe ich es auch schon
wieder vergessen. Jetzt ist mir schließlich nicht mehr kalt. Fünfundzwanzig
E-Mails sind eingetroffen. Meine Mutter schreibt mir: Bin wieder zu Hause. Geht
mir gut. Liebe Dich. Ach ja richtig, sie war ja auf Kur. Hat man da nicht
früher Ansichtskarten geschrieben. Das war nett, draußen zum Briefkasten zu
gehen und wirkliche Überraschungen zu erleben, Briefe von guten Freunden, mit
ganzen Sätzen gar, oder die ersten heimlichen, verschämten Liebesbotschaften
auf Papier, zum Einkleben oder Einlegen ins Tagebuch, das dann sorgfältig
versteckt wurde – jetzt finden sich nur noch Zeitungen und Werbematerial im
Briefkasten, und meine Frau fragt mich was sie fürs Abendessen einkaufen soll.
Schnick-Schnack. An Mutter: J, daß Du gut nach Hause gekommen
bist. Liebe Dich auch.
Unversehens
zwängt sich meine Tochter zwischen mich und die Tastatur, geradewegs vom
Frühstück kommend, in der einen Hand einen Schoko-Riegel, in der anderen ihren
obligaten Teddybären, wobei der Bär aussieht, als hätte er auch mitnaschen
dürfen. „Solltest Du nicht zuerst den Schoko-Riegel fertigessen, und dann mit
dem Bären schmusen?“, frage ich sie lakonisch. „Nein,“, antwortet Natalie
bestimmt, „Max darf nicht zu kurz kommen!“ Sogar einen Namen hat der Bär! Ob
sie sich wohl mit ihm unterhält? Doch ich mußte weitermachen. Sie stört mich.
Meine Zeit ist verplant, doch pädagogisch einfühlsam – wie ich meine – hebe ich
sie von meinem Schoß und setzt sie auf den Boden. „Ich muß weiterarbeiten.“, begleite
ich meine Tätigkeit. Sie sieht mich an, als ob sie das zum ersten Mal hören
würde, als ob sie mich nicht verstünde. Oh sorglose Jugend, keine Probleme und
keine Notwendigkeit sich die Zeit einzuteilen! „Aber Papi,“, versucht sie zu
widersprechen, „ich wollte Dir etwas ganz Wichtiges sagen!“. Was kannst Du mir
schon Wichtiges zu sagen haben, denke ich, füge jedoch laut hinzu: „Das hat
doch sicherlich noch Zeit bis heute abend, mein Schatz.“ „Nein, hat es nicht!“,
protestiert sie heftig, „Und außerdem sagst Du das immer. Immer heißt es später
oder heute abend, und dann sagst Du bist müde, und dann muß ich schlafen gehen.
Oder Du sitzt an diesem blöden Computer.“ Unwillig schlägt ihre kleine Faust
auf den Tisch. Ich muß ihr zugestehen, daß sie recht hat, und was sagt in
diesem Fall das Universal-Lexikon für gute Väter? So viel Zeit muß sein! Also
hebe ich sie wieder herauf auf meinen Schoß, und fühle eine kleine, klebrige
Hand in meinem Nacken, und eine ebensolche Wange an meiner Wange. „Papi,“, sagt
sie im feierlichen Tonfall, „Du bist ein Knurx, mein Knurx.“ Knurx? Was bitte
schön ist ein Knurx? Ich stelle meine Frage laut. Doch noch bevor Nathalie
antworten kann, steckt meine Frau den Kopf bei der Tür herein: „Möchtest Du
mich zur Bibliothek begleiten, Nathalie?“, und freudig erregt springt meine
Tochter von meinen Knien, wogegen sie sich gerade eben noch so heftig gewehrt
hatte und läuft zur Tür. Sie teilt die Liebe zu Bibliotheken mit ihrer Mutter.
Kein Wunder, wo sie Nathalie doch von Anfang mitgeschleppt hatte. Es war ihm
immer ein Rätsel gewesen wie man sich so was antun kann – zwischen unendlichen
Regalreihen herumsteigen, bloß um irgendein altes. verstaubtes Buch zu suchen,
das dann vielleicht auch noch ein Großformat und fürchterlich schwer ist. Nein,
ich bevorzuge elektronische Medien. Die sind klein und handlich.
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