Knurx
Ich
erinnere mich mit Schaudern an den Umzug der kleinen Bibliothek, die meine Frau
sich im Laufe der Jahre zusammengehamstert hatte, von der Wohnung in unser
neues Haus. Nicht nur, daß es eine entsetzliche Plackerei war, dazu kam noch,
daß sie sich einbildete jedes Buch einzeln in die Hand nehmen und von allen
Seiten betrachten zu müssen, bevor sie es in die Kiste packte. Zu fast jedem
von ihnen wußte sie was zu erzählen Irgendwann sagte ich zu ihr sie solle doch
den ganzen Krempel einfach einpacken, damit wir endlich weiterkämen. Sie sah
mich betroffen an „Das ist ein Teil meiner Geschichte,“, sagte sie ruhig, aber
in einem Tonfall, der ihre Enttäuschung nicht zu verhehlen vermochte, „und das
interessiert Dich nicht?“, um nach einer kurzen Pause des Schweigens, die mir
endlos erschien, da ich nichts zu erwidern wußte, hinzuzusetzen, „Tu nur, was
Du zu tun hast, und was offensichtlich wichtiger ist. Ich rufe Dich später
an.“, und obwohl ich eigentlich nichts zu tun hatte, ging ich, jetzt erst
recht, denn mein Stolz war gekränkt, meinte ich, oder war das nur das Gefühl
der Schuld, das ich zu übertünchen suchte. Nein – und redete es mir ein, daß es
nicht so wäre. Irgendetwas blieb …
„Aber
was ist ein Knurx?“, reiße ich mich aus meinen Gedanken. „Nicht jetzt, Papi.“,
höre ich noch, und schon fällt die Haustür ins Schloß. Was wollte ich jetzt?
Ach ja, ich schaue auf den Bildschirm und meine Finger greifen in was
Klebriges, als sie auf die Tastatur sinken. Das war die kleine, verärgert
gesenkte Schokoriegel-Hand. Na super! Jetzt kann ich da auch nicht
weiterarbeiten, denke ich. Doch was ist ein Knurx? Vergiß den Unsinn, sagte ich
zu mir selbst, aber aus irgendeinem Grund geht es mir nicht aus dem Kopf.
Nachdem ich sowieso nicht weiterarbeiten kann, beschließe ich mir einen Kaffee
zu machen. Eine Schokoriegel-Spur ziert meinen Weg. Ich drehe das Wasser auf.
Kalt. Den Installateur wollte ich auch anrufen. Was ist ein Knurx? Jetzt ist
mir das kalte Wasser und die Schokoriegel-Spur egal. Das kann doch einfach
nicht sein, daß meine kleine Tochter etwas kennt, was ich nicht kenne, ja wovon
ich noch nicht einmal etwas gehört habe. Ich setze mich ins Auto – ich muß es
jetzt wissen. Aber wo soll ich nachschauen wo ich Wikipedia nicht benutzen
kann? In der Bibliothek? Nein, dort fahre ich nicht hin! Ich starte das Auto
während mir von sehr ferne her die Bekanntschaft mit einem Physiker einfällt –
da muß ein Knurx hingehören, denn das klingt schon so kompliziert. Vielleicht
ist es die Abkürzung für irgendein neu entdecktes Element. Ich starte das Auto,
zumindest versuche ich es, doch der Motor stottert, stottert – ein Wink, der
Hoffnung gibt, bevor er endgültig schweigt. Das Schweigen, die Schuldgefühle –
wichtig steige ich aus dem Auto aus, öffne die Motorhaube und sehe hinein.
Kabeln, und überhaupt sieht das nach einem ganz großen Durcheinander aus. Wozu
schaue ich da hinein, wenn ich sowieso keine Ahnung habe? Trotzdem beuge ich
mich nochmals darüber, als würde mir der Motor irgendetwas zuflüstern. Gerade
als ich mir seufzend eingestehe, daß es für mich nicht das geeignete Gebiet ist
meine Männlichkeit unter Beweis zu stellen und beschließe meinen Mechaniker
anzurufen, fällt mir das Handy aus der Tasche. Ich beobachte nur mehr, wie ein
schöner, großer Mercedes darüberrollt. Das Handy ist unterlegen, muß ich
eingestehen, als das plattgewalzte Ding wieder zum Vorschein kommt.
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