1007 Knurx (Teil 2)


Knurx 

Ich erinnere mich mit Schaudern an den Umzug der kleinen Bibliothek, die meine Frau sich im Laufe der Jahre zusammengehamstert hatte, von der Wohnung in unser neues Haus. Nicht nur, daß es eine entsetzliche Plackerei war, dazu kam noch, daß sie sich einbildete jedes Buch einzeln in die Hand nehmen und von allen Seiten betrachten zu müssen, bevor sie es in die Kiste packte. Zu fast jedem von ihnen wußte sie was zu erzählen Irgendwann sagte ich zu ihr sie solle doch den ganzen Krempel einfach einpacken, damit wir endlich weiterkämen. Sie sah mich betroffen an „Das ist ein Teil meiner Geschichte,“, sagte sie ruhig, aber in einem Tonfall, der ihre Enttäuschung nicht zu verhehlen vermochte, „und das interessiert Dich nicht?“, um nach einer kurzen Pause des Schweigens, die mir endlos erschien, da ich nichts zu erwidern wußte, hinzuzusetzen, „Tu nur, was Du zu tun hast, und was offensichtlich wichtiger ist. Ich rufe Dich später an.“, und obwohl ich eigentlich nichts zu tun hatte, ging ich, jetzt erst recht, denn mein Stolz war gekränkt, meinte ich, oder war das nur das Gefühl der Schuld, das ich zu übertünchen suchte. Nein – und redete es mir ein, daß es nicht so wäre. Irgendetwas blieb …

„Aber was ist ein Knurx?“, reiße ich mich aus meinen Gedanken. „Nicht jetzt, Papi.“, höre ich noch, und schon fällt die Haustür ins Schloß. Was wollte ich jetzt? Ach ja, ich schaue auf den Bildschirm und meine Finger greifen in was Klebriges, als sie auf die Tastatur sinken. Das war die kleine, verärgert gesenkte Schokoriegel-Hand. Na super! Jetzt kann ich da auch nicht weiterarbeiten, denke ich. Doch was ist ein Knurx? Vergiß den Unsinn, sagte ich zu mir selbst, aber aus irgendeinem Grund geht es mir nicht aus dem Kopf. Nachdem ich sowieso nicht weiterarbeiten kann, beschließe ich mir einen Kaffee zu machen. Eine Schokoriegel-Spur ziert meinen Weg. Ich drehe das Wasser auf. Kalt. Den Installateur wollte ich auch anrufen. Was ist ein Knurx? Jetzt ist mir das kalte Wasser und die Schokoriegel-Spur egal. Das kann doch einfach nicht sein, daß meine kleine Tochter etwas kennt, was ich nicht kenne, ja wovon ich noch nicht einmal etwas gehört habe. Ich setze mich ins Auto – ich muß es jetzt wissen. Aber wo soll ich nachschauen wo ich Wikipedia nicht benutzen kann? In der Bibliothek? Nein, dort fahre ich nicht hin! Ich starte das Auto während mir von sehr ferne her die Bekanntschaft mit einem Physiker einfällt – da muß ein Knurx hingehören, denn das klingt schon so kompliziert. Vielleicht ist es die Abkürzung für irgendein neu entdecktes Element. Ich starte das Auto, zumindest versuche ich es, doch der Motor stottert, stottert – ein Wink, der Hoffnung gibt, bevor er endgültig schweigt. Das Schweigen, die Schuldgefühle – wichtig steige ich aus dem Auto aus, öffne die Motorhaube und sehe hinein. Kabeln, und überhaupt sieht das nach einem ganz großen Durcheinander aus. Wozu schaue ich da hinein, wenn ich sowieso keine Ahnung habe? Trotzdem beuge ich mich nochmals darüber, als würde mir der Motor irgendetwas zuflüstern. Gerade als ich mir seufzend eingestehe, daß es für mich nicht das geeignete Gebiet ist meine Männlichkeit unter Beweis zu stellen und beschließe meinen Mechaniker anzurufen, fällt mir das Handy aus der Tasche. Ich beobachte nur mehr, wie ein schöner, großer Mercedes darüberrollt. Das Handy ist unterlegen, muß ich eingestehen, als das plattgewalzte Ding wieder zum Vorschein kommt.

Wie geht das Leben jetzt weiter? Ohne Auto, ohne Telephon? Ich versuche mich zurückzuerinnern, wie das war, als ich noch kein Auto hatte. Oder soll ich vielleicht einfach ins Haus zurückgehen und warten bis meine Frau und meine Tochter nach Hause kommen, doch das würde einem Eingestehen meines Versagens gleichkommen. Unschlüssig blicke ich mich um.

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